Montag, 31. Dezember 2012

Die lamentierende Welt


Lausche in die Welt hinein
Was hörst du?

Du hörst sie lachen
Hörst sie weinen
Doch am meisten
Sie lamentieren.

Du hörst das Leben
Hörst das Sterben
Doch am meisten
Wie sie lamentieren.

Schaue in die Welt hinein
Was siehst du?

Du siehst sie rennen
Siehst sie stehen
Doch am meisten
Sie lamentieren.

Du siehst sie fröhlich
Siehst sie leidend
Doch am meisten
Wie sie lamentieren.

Und was tun sie?
Sie reden laut
Beschweren sich
Doch unternehmen nichts.

Du siehst sie lachen
Hörst sie weinen
Hörst sie lamentieren
Siehst sie in ihrer Unzulänglichkeit erfrieren.

Stillstand, Stagnation
Stigmata der modernen Welt
Ein Schritt nach vorn
sind zwei zurück

Modern verrückt
Verrückt normal
Langeweile
und ein neuer Skandal

Die Welt dreht sich im Kreise
und auf diese alte Weise
wiederholt es sich jedes Mal
Man glaubt man hat die Wahl
doch täuscht man sich allemal
Denn auf diese alte Weise
dreht sich die Welt stets im Kreise.

Der Nebel des Lebens
ein Odem des Feuers
ein Donner der Inbrunst
- zumindest am Anfang -
Doch heraus kommt nichts,
außer erbärmliche Wesen,
die jammern und lamentieren
und in ihrer Unzulänglichkeit erfrieren.

Das Leben bedeutungslos
Der Tod nur noch mehr
Pop-Kultur ganz famos
Charakterbildung jedoch schwer

Degeneration neuer Generation
War es jemals anders?
Fortschritt gleicht Rückschritt
Denn nichts verändert sich.

So sind sie am Lamentieren
Weinend am Leben
Fröhlich am Degenerieren
Lachend am Krepieren

Siehst du mich lamentieren?
An meiner Unzulänglichkeit erfrieren?
Siehst du mich weinen?
Hörst du mich lachen?

Fürwahr die Welt auf ihre altbekannte Weise
dreht losgelöst von jedem ihre Kreise
Und so wie ich übers Lamentieren lamentiere
Vielleicht auch ich in meiner Unzulänglichkeit erfriere.

Doch du siehst mich nicht.
Hörst mich nicht.
Weil ich mich vor dir verstecke.
Besser sein will, wenn ich verrecke.

Doch wie sie selbst wegen Kleinigkeiten jammern
Wegen Nichtigkeiten gleich viel weinen
Wegen jedem Mist laut lamentieren
Während andere still und heimlich leiden
Ihre Wunden vor anderen verstecken
Um stark zu sein für andere - zuletzt für sich
Glauben sie sich im Schlimmsten auf der Welt
Während die anderen unnachgiebig kämpfen.

Es ist pure Ironie.
Oder wie ein Bruder einst sagte:
"Das Leben ist ein schlechter Witz,
über den man nur lernen muss zu lachen."



by
Lupus Terre
(DLNT)

Freitag, 7. Dezember 2012

Laudatio ad Pater Waleri


Waleri Iwanowitsch N.: Vater, Bruder, Ehemann, Opa, Cousin, Onkel, Freund, Kollege.
Es gibt viele Bezeichnungen für diesen einen besonderen Menschen, von dem wir heute leider schmerzlich Abschied nehmen müssen.
Wir alle, die wir heute hier sind, sei es Familienmitglied, oder Freund, haben ihn als den Menschen, der er für uns war, geschätzt und geliebt.
Wir alle haben einen Teil unserer Zeit mit ihm verbringen dürfen und auf diese Weise seine Herzenswärme, seine Güte und seine Freundschaftlichkeit in uns aufnehmen können.
Wir alle haben wertvolle Erinnerungen von ihm, die wir nun festhalten müssen, damit wir ihn und unsere gemeinsame Zeit niemals vergessen.


Der Schmerz, der uns alle dadurch trifft, dass wir nun nie wieder unserer Zeit mit ihm teilen können, lässt sich nicht einmal ansatzweise angemessen mit Worten beschreiben. Weswegen es auch schwer fällt zu begreifen, was geschehen ist. Weswegen es auch schwer fällt in einer Realität zu leben, in der er nicht vorhanden ist. Weswegen es auch schwer fällt Abschied zu nehmen.
In einem Netz waren wir alle miteinander verbunden, dessen Basis Waleri war. Nun ist diese Basis verschwunden und geblieben ist ein unsäglich großes Loch, welches durch nichts zu füllen ist. Dieser tragische Verlust hat in uns alle ein solches Loch gerissen und es wird viel Zeit brauchen, bis diese Wunden vernarben und wir Frieden schließen können. Aber wir müssen Mut haben und Stärke beweisen, damit wir diese Zeit überstehen. Denn er hätte es sicher nicht gewollt, dass wir daran zugrunde gehen.
 

Für mich war Waleri mein Vater, ist mein Vater und wird immer mein Vater bleiben. Er war ein liebevoller Vater, der sich größte Mühe gab, damit es seinen Kindern gut geht. Seit meiner Geburt war er immer da, war immer um mich herum und es tat gut zu wissen einen solchen Vater zu haben. Umso härter ist es nun damit leben lernen zu müssen ihn nicht mehr um mich herum zu haben. 
Wir haben wundervolle Zeiten miteinander verbracht. Zeiten, die ich niemals missen wollen würde. Sicher haben wir uns auch einige Male gestritten, aber das gehört ebenso dazu und ist auch eine Erfahrung, auf die ich nicht verzichten will.
Mein Vater war ein guter Mann und er wollte stets, dass alle um ihn herum glücklich sind. Er war durch und durch ein Familienmensch. Alle Krisen haben wir gemeinsam durchgestanden, alle Probleme gemeinsam als Familie bewältigt. Und ich bin dankbar dafür. Ich bin dankbar für die Zeit, die ich mit ihm verbringen konnte, dankbar dafür, dass er mein Vater ist.
 

Mir war zwar – wenn auch widerwillig - bewusst, dass eines Tages der Zeitpunkt kommen würde, an dem ich da stehen würde, wo ich jetzt hier und heute stehe, den Verlust meines Vaters zu bewältigen hätte und eine Rede wie diese halten würde, aber ich hätte niemals erwartet, dass es so früh geschehen würde. Aber so ist der Lauf des Lebens nun mal. Es trifft einen immer genau dann, wenn man es am wenigsten erwartet. Man kann sich niemals richtig auf so etwas vorbereiten. Man kann niemals die richtigen Worte finden und erst recht ist es niemals einfach so einen Verlust zu verarbeiten. Aber es passiert leider und es ist wichtig, dass man damit zurecht kommt und daran nicht zerbricht.

Mein Vater ist 71 Jahre alt geworden und hat in seinem Leben viel erlebt. Er hat Kriegszeiten überstanden, Hunger und Krankheit überlebt, den Verlust enger Angehöriger verkraften müssen, aber auch viel Glück erfahren. Waleri hat vier Nachkommen in diese Welt gesetzt. Eine Tochter und drei Söhne. Zwei seiner Kinder haben sogar selbst schon Familien gegründet und ihm Enkel geschenkt. Sein jüngster Sohn, der Richard-Elijas, ist sechs Jahre alt. Ich erinnere mich noch gut, wie überglücklich mein Vater bei der Geburt meines Bruders war. Die Geburten seiner Kinder zählen wohl mit Abstand zu den besten Momenten, die er erlebt hatte.
Aber nun hat er uns verlassen. Und seine Kinder bleiben ohne Vater zurück. Auch seine Ehefrau – meine Mutter – ist geblieben und blickt schmerzlich auf eine Ehe von 22 Jahren zurück. Sie waren sich treu ergeben bis zum Schluss.
Waleri war aber nicht nur ein liebevoller Vater und ein geliebter Ehemann, sondern auch ein geschätzter Bruder. Er hat drei Schwestern, welche mit ihm aufgewachsen sind, viel mit ihm geteilt haben und ihn auch, so wie wir alle, sehr vermissen werden.
 

Waleri Iwanowitsch hat viele Jahre lang den Lehrerberuf ausgeübt. Er ist bei seiner Arbeit stets mit ganzem Herzen und Verstand vorgegangen. Seine Arbeit war ihm wichtig und das konnten alle merken, die von ihm unterrichtet wurden, oder mit ihm arbeiteten. Seine Arbeitskollegen haben ihn deswegen sehr geschätzt und weil mein Vater ein sehr freundlicher und herzensguter Mensch gewesen ist, hat er unter seinen Kollegen auch sehr viele gute Freunde finden können. 
Jeder einzelne seiner Kollegen, welche mit ihm Freundschaft schlossen, wird sicherlich eine einzigartige Erinnerung davon haben, wie er Waleri kennenlernte. Jeder von ihnen muss sich nun jedoch leider von ihm für immer verabschieden, aber wird ihn nie vergessen.
 

Es gibt noch so viel, das zwischen ihm und uns ungesagt geblieben ist, noch so viele ungelösten Dinge, für die er eine Lösung hätte haben können, und es gibt noch so viel, das er hätte erleben können, das wir gemeinsam hätten erleben können.
Waleri hatte auch noch viele Pläne für die Zukunft. Er wollte zum Beispiel seine Memoiren von den Erlebnissen seiner Vergangenheit niederschreiben, einen Roman verfassen und dann seinen Lebensabend damit versüßen voller Stolz mit anzusehen, was aus seinen geliebten Kindern werden würde. Es ist eine tragische Wendung des Schicksals, dass er dies nun zumindest im Diesseits nicht mehr erleben wird. Aber ich bin mir sicher: Wenn er irgendwie kann, so wird er uns vom Jenseits aus beobachten und auf uns Acht geben.


Im Verhältnis zu dem Alter, das die Menschen heutzutage erreichen können, und in Hinblick auf all jene Dinge, die noch offen geblieben sind, ist Waleri, mein geliebter Vater, viel zu früh und viel zu unvermittelt verstorben.
Doch muss man sich auch die Frage stellen, ob es dafür überhaupt jemals einen richtigen Zeitpunkt gegeben hätte, und ob man überhaupt jemals dazu bereit gewesen wäre ihn gehen zu lassen. Fest steht jedenfalls, dass alles seine Zeit hat, und uns das an Tagen wie diesen, an denen uns der geballte Schlag der Realität mit aller Härte trifft, schmerzlich bewusst wird. Aber wo ein Leben ein Ende findet, findet ein anderes seinen Anfang. So hat Waleri der Welt Leben geschenkt und diesen Leben Liebe und Güte gelehrt und es ist nun an uns, seinen Kindern, Verwandten und Freunden sein Andenken zu ehren und an unsere Kinder, Verwandte und Freunde weiterzugeben, was er einst an uns weitergegeben hat.
 

Mein Vater hat mich im Laufe meines Lebens viel gelehrt. Ich wäre wohl nicht der, der ich heute bin, ohne ihn. Und auch jetzt noch hat er mich etwas gelehrt, nämlich, dass es wichtig ist den Menschen, die einem wichtig sind, zu zeigen, dass man sie liebt beziehungsweise schätzt. Denn man weiß nie, ob es das letzte Mal war, dass man jemanden gesehen hat, nachdem man sich verabschiedet. Und auch, wenn es Streit geben sollte, so sollte man sich in Frieden verabschieden und zeigen, dass man den anderen trotzdem noch mag. Es müssen keine großen Zuneigungsfloskeln sein, aber ein tägliches „Ich liebe dich“, oder eine kleine Umarmung ist schon viel Wert. Denn sonst könnte man dann, wenn es bereits zu spät dafür ist, bereuen seine Zuneigung nicht gezeigt zu haben. Und das würde einen quälen.
Ich für meinen Teil hatte zum Glück noch diese Gelegenheiten, bevor mein Vater Waleri gegangen ist. Ich bin mir sicher es wäre viel schwerer für mich diesen Verlust zu ertragen, hätte ich diese Gelegenheiten nicht gehabt. Aber nun weiß ich, dass wir uns in Frieden verabschiedet haben und uns unsere Zuneigung gezeigt haben.
 

So sehr ich ihn geliebt habe, so sehr hat er auch mich geliebt, wenn nicht mehr.
Und so ist es bei allen. So sehr, wie jeder von uns ihn geliebt und geschätzt hat, so sehr hat er auch uns geliebt und geschätzt.
Zwar hat Waleri die physische Welt verlassen, aber wenn wir an ihn denken und nicht vergessen, was er uns auf unserem Weg durch das Leben mitgegeben hat, so wird er weiterhin da sein, und zwar in unserem Geiste und unserem Herzen.


Das ist es was wir wollen und tun sollten. Nicht den schmerzlichen Verlust betrachten, den wir durch seinen Tod spüren, sondern uns an die guten Dinge erinnern, an die glücklichen Zeiten, die wir mit ihm hatten. In seinem Andenken sollten wir alle damit Frieden schließen, dass er nun nicht mehr unter uns weilt, Frieden mit ihm schließen und den Frieden in uns finden. Denn nur so können wir ihn friedlich gehen und ruhen lassen.


So verneige ich nun mein Haupt vor dir,
lieber Vati,
Und knie vor dir nieder.


Ich bin dankbar für die schöne Zeit mit dir,
werde dich in Ehren halten.
Du bleibst für immer in meinem Herzen,
werde dich stolz machen.


Und vielleicht sehen wir uns bald wieder.
Ich werde dich immer lieben,
und nun ruhe in Frieden.



Lupus Terre



PS: Die Laudatio wurde von mir etwas überarbeitet, um Anonymität wahren zu können (habe den Nachnamen gekürzt bzw. herausgenommen).



Mein Vater...


Es ist kaum zu fassen...
Mein Vater ist am 22.10.2012 verstorben.
Die zweite nahestehende Person dieses Jahr...

Womit habe ich das verdient?
Was habe ich falsch gemacht?
Was soll das?
Warum?
Warum..?
Warum...?

Ich habe nicht die Energie die kommenden Blogeinträge zu Ehren meines Vaters so zu planen, wie die für Eduard.
Doch die Laudatio, die zweite Grabrede, die ich nun in diesem Jahr für einen geliebten Menschen halten musste, werde ich veröffentlichen.
Es werden sicher auch weitere Werke folgen, die ihm gewidmet sind.
Aber es bleibt offen, ob sie sofort folgen werden, oder ein andern Mal...

Dies ist wahrlich ein beschissenes Jahr...
Dies ist wahrlich ein Weltuntergang für mich....


gez.

Lupus Terre


Sonntag, 23. September 2012

Warum, Eduard?


Die wohl größte Frage, die sich alle stellten und teilweise noch stellen, nachdem Eduard von uns gegangen bist, ist die Frage: "Warum?"

Warum hast du es getan? Warum jetzt? Warum?

Auch ich habe mich das sehr lange gefragt, obwohl ich die Antwort darauf vielleicht schon wusste.


Im folgenden Text werde ich versuchen die Antwort darauf zu formulieren, sowie weitere "W-Fragen", die damit zusammen hängen, zu beantworten.



Warum?


Diese Frage ist von allen am schwierigsten zu beantworten, wenn es überhaupt jemals eine befriedigende Antwort darauf geben sollte.

Nach all den Gesprächen, die ich mit Menschen, die dich kannten, geführt habe, nach all dem intensiven Nachdenken und ermitteln, kann ich maximal eine Sicherheit von vielleicht 80% dafür angeben, dass ich richtig liege.
Die Unsicherheit dahinter ist vor allem damit begründet, dass Eduard und ich in den Monaten, bevor es geschehen ist, nahezu gar nicht mehr über dieses Thema geredet haben. Das wiederum hat einen anderen Grund.
Jedenfalls hat er sich diesbezüglich mir gegenüber verschlossen und mich in falscher Sicherheit gewogen.

Der Grund nun, warum er es getan hat, lässt sich leider nicht so einfach beantworten, wie sich die Frage stellen lässt. Man muss separieren und differenzieren, da mehrere Faktoren dabei in einem komplexeren Zusammenspiel eine Rolle haben.


Ich separiere zunächst in mögliche physiologische Faktoren und danach in die psychologischen:


Physiologie


Schlaf:

Schon als ich Eduard kennen lernte, fiel mir auf, dass er fast immer sehr müde war. Unausgeruht, als würde er zu wenig Schlaf erhalten. Wir hatten des Öfteren darüber geredet. In den Gesprächen darüber teilte er mir unter anderem mit, dass er schlafen könne, so viel er wolle, es würde nicht das Geringste bezwecken und er würde schon nach einigen Stunden des Wachseins "unbrauchbar" sein. So schlief er bereits sehr früh (beispielsweise um 18 Uhr abends) ein, wenn er es sich auf einem Sofa Zuhause bequem gemacht hatte, wie er mir berichtet hatte.
Innerhalb des letzten Jahres kamen wir auf die Idee, dass es eventuell daran liegen könnte, dass er eine gestörte bzw. fehlende REM-Phasen - oder Tiefschlafphasen - Schlaf hatte, in welchen sich ein Mensch am intensivsten erholt. Wir kamen auf diesen Schluss, da Eduard berichtet hatte, dass er überhaupt keine Träume habe und sich nach dem Schlafen nie wirklich erholt gefühlt hatte.

Die Konsequenz: Alles, was man im Alltag durchlebt wirkt viel anstrengender, wenn man müde ist. Und die damit verbundenen Unlustgefühle werden intensiviert.
Deswegen ist mangelnder bzw. schlechter Schlaf ein Faktor, der u.A. Depressionen begünstigt.

Eine nebensächliche Anmerkung: Ich hatte versucht Eduard dazu zu bewegen ein Schlaflabor aufzusuchen und sich untersuchen zu lassen. Ich hatte sogar welche für ihn herausgesucht und war bereit Termine für ihn zu machen. Leider hatte er sich dagegen gestellt.


Kopfschmerzen:

Eduard klagte praktisch täglich über permanente Kopfschmerzen, die ihn oft auch an konzentriertem Nachdenken hinderten. Wo die Ursache dafür lag, ist mir bis heute nicht bekannt. Möglicherweise aufgrund des gestörten Schlafes, eventuell auch weil seine Flüssigkeitsaufnahme sich in sehr engen und unterdurchschnittlichen Grenzen hielt, aber vielleicht hatte dies auch gänzlich andere Gründe.
Jedoch hatte er sich deswegen einst untersuchen lassen. Er suchte einen Neurologen auf, welcher lediglich herausfand, dass sein Blut etwas zu dickflüssig war, aber ansonsten alles in Ordnung sei.

Die Konsequenz: Permanente Kopfschmerzen rauben einem sowohl Energie, als auch Nerven. Sodass es zu einem zusätzlichen Verlust von alltäglichem Antrieb kommt. Es wirkt sich somit ähnlich aus wie seine stete Unausgeruhtheit.



Psychologie


Allgemeine Antriebslosigkeit:

Es war bekannt, dass Eduard zu vielen Dingen oft "keine Lust" hatte. Besonders, was das tägliche Vollführen eines schier "grauen" Alltagstrotts anbelangte. So mochte er es beispielsweise nicht früh aufzustehen, um zur Schule zu gehen, da er es als überflüssig empfand. Überflüssig teilweise deswegen, weil er am liebsten direkt studiert hätte, anstatt in lauter Fächern seine "Zeit abzusitzen" (wie er es formuliert hatte), nur damit man dann die offizielle Hochschulreife erhielte. 
Die Gründe dafür, dass es ihm an Antrieb fehlte, der ihn durch das Leben hätte treiben können, liegen teilweise in der Physiologie (siehe z.B.: Schlaf), teilweise aber auch an seinem Menschheits- und Weltbild, wozu ich später in diesem Eintrag komme.

Die Konsequenz: Hat man keinen Grund, oder gar ersichtlichen Antrieb, jeden Tag aufzustehen und zu erfüllen, was von einem erwartet wird, oder was man sich vorgenommen hat, entsteht ein grundsätzliches Unlustempfinden am Leben und jeglichen daraus abgeleiteten Tätigkeiten.


 
Menschheits- und Weltbild:
Eduards Menschheits- und Weltbild war überwiegend negativ geprägt. Zwar kann man nicht direkt sagen, dass er ein reiner Misanthrop war - also jemand, der die Menschheit aus tiefstem Herzen verachtete, allerdings jemand, der der gegenwärtigen Entwicklung der Gesellschaft sehr pessimistisch gegenüber stand.
Er verabscheute erheblich viele Verhaltensweisen, die für einen Großteil der Menschen leider unwiderlegbar typisch sind. Exzessive Handlungen primitivster Triebe, waren dabei nicht einmal der größte Kritikpunkt, den Eduard gegenüber der Gesellschaft hatte. Vielmehr waren es die übergeordneteren komplexeren dunklen Seiten der Menschheit, die sich tagtäglich überall auf der Welt begeben. Damit ist beispielsweise der weit verbreitete Egozentrismus - besonders innerhalb der modernen Konsumgesellschaft - gemeint, der schon seit Jahrtausenden ein großes Übel der Menschheit ist und sie zu hinterhältigen, verabscheuungswürdigen Taten treibt. Deswegen paraphrasierte er - meiner Ansicht nach zurecht - den gegenwärtigen Gesellschaftstypus als "Ellbogengesellschaft", die mit einem stetigen Werteverlust einhergeht.
Dies resultierte keineswegs aus einer übermäßigen Interpretation der Gegenwart, sondern beruhte auf nüchterner Analyse umgebender Geschehnisse, sowie dem Weltgeschehen. Er ist auch einer der Menschen gewesen, der dies nicht ohne weiteres akzeptieren wollte - geschweige denn konnte. Anders als andere wollte er sich nicht in süßen Illusionen wiegen, und den Rest der Welt vergessen, jedoch ließ er diese Dinge leider viel zu sehr an sich heran treten (dazu später mehr in: "Empathie").

Eduard war überdies nicht im Geringsten in irgend einer Form religiös. Im Gegenteil. Er lehnte es ab an Humbug zu glauben, den sich irgendwelche Menschen auf völlig irrationaler und unempirischer Ebene zusammensponnen, sondern pflegte eine streng rationale und wissenschaftliche Denkweise, was sich nicht zuletzt in seiner Begabung für Naturwissenschaften äußerte.
Demzufolge ist es nicht verwunderlich, dass er sich letztlich ebenfalls mit Gedanken zum Sinn und Zweck irdischen Lebens auseinander setzte und zu dem Schluss kam, dass es streng genommen keinen übergeordneten Sinn des Lebens gab.

Die Konsequenz: Ein negatives Menschheits- und Weltbild schlägt sich langfristig im Gemütsempfinden nieder. Man fängt an des Lebens müde zu sein, da man all das Übel, welches man in der Welt zu sehen meint, nicht ertragen möchte, bzw. kann. Es zehrt an den kräften so sehr, dass selbst ein starker Charakter daran zerbrechen kann, sollte er diese Gedanken nicht richtig verarbeiten.


Anmerkung: Dieses nicht ganz unberechtigt negative Bild, welches ich hier kurz zusammengefasst habe, ist wohl einer der größten psychologischen Faktoren, die Eduards Suizidalität intensivierten und - seinem Abschiedsbrief zufolge - auch der Hauptgrund für die letztendliche Umsetzung seiner Todessehnsucht.


Zukunftspesperktive:
Obwohl Eduard in intellektueller Hinsicht herrvoragende Aussichten auf spätere zukünftige Entwicklungen hatte (z.B. was das Studium und den Beruf betrifft), da er außerordentlich begabt in naturwissenschaftlichen und mathematischen Fächern war, was er auch selbst wusste und dahingehend viel geplant hatte, sah er gleichzeitig für seine Zukunft in dieser Gesellschaft schwarz. Dies resultierte hauptsächlich aus seinem negativen Mensch- und Weltbild. Er sah schlichtweg keinen Sinn darin in einer Welt zu leben und zu arbeiten, wo er so viel Leid mitbekäme, aber nicht mächtig genug ist, um es zu verhindern.
Ihm war vollstens bewusst, dass er selbst vermutlich eine in finanzieller Hinsicht sorglose Zukunft haben würde, hatte jedoch keinerlei Hoffnung darin, dass sich die Gesellschaft schnell genug so ändern würde, dass sie für ihn "lebenswert" werden würde.

Die Konsequenz: Hoffnung ist eines der wenigen Dinge, die einem Menschen ein gewaltiges Maß an Antrieb geben kann, fehlt diese jedoch, ist jemand also "hoffnungslos", kann dies Suizidalität auslösen, oder eben intensivieren, sollte sie bereits aus anderen (verwandten) Gründen bereits vorhanden sein.



Emotion & Empathie:

Alle Menschen, die mit Eduard zu tun hatten - mich eingeschlossen -, erlebten ihn als einen sehr einfühlsamen, friedliebenden und verständnisvollen Menschen. Er war ein idealer Gesprächspartner, mit dem man über seine Sorgen und Probleme reden konnte, ein ausgezeichneter Freund, der jemandem in allen Situationen des Lebens Halt geben konnte und dem man blind vertrauen konnte.
Wohl auch wegen dieser Eigenschaft öffneten sich ihm gegenüber Personen, die ansonsten stark introvertiert sind. Alle schätzten seinen Charakter sehr.
Sein Empathievermögen artete allerdings leider oft darin aus, dass er nicht bloß "Mitleid" hatte, sondern wortwörtlich "mit gelitten" hat. Diese Sensibilität, die mitunter dazu führte, dass er Weltschmerz hatte, war höchstwahrscheinlich auch ein großer Mitfaktor, der ihm zum Verhängnis wurde. Auf der einen Seite ein Segen, auf der anderen ein Fluch. Eduard hat sich nicht nur das Weltgeschehen, sondern vor allem Krisen aus seinem persönlichen Umfeld sehr zu Herzen genommen. Beispielsweise war er nicht in der Lage eine gewisse Distanz zu den Leidensgeschichten von Menschen zu wahren, mit denen er sich unter anderem in Suizidforen austauschte - oder er wollte es nicht.
Nicht nur seine Mutter, sondern auch ich, konnten merken, dass seine Gemütslage sich seit dem regelmäßigem Aufenthalt in Suizidforen und -chats signifikant verschlechtert hatte, was seine Depression und Suizidalität konsequenterweise nur verstärkte.

Ein weiterer Punkt in diesem Zusammenhang ist der andere Teil seiner Gefühlswelt.

Mir gegenüber behauptete er oft keine, oder kaum, Gefühle zu verspüren, außer große Unzufriedenheit und Unglückseligkeit mit dem Leben. Auch wenn man oft den Eindruck hatte ihn fröhlich zu erleben, so war es - wenn nicht gespielt, um niemanden merken zu lassen, wie es ihm tatsächlich geht - nur temporär und nicht konsistent genug, als dass er tatsächlich "wahres" Glück empfunden hätte, welches vielleicht seinem Leben mehr Farbe gegeben hätte und ihn davon hätte abhalten können den Weg zu gehen, den man nur einmal beschreiten kann.
Die negativen Aspekte, die er in seinem Leben wahrgenommen hatte, waren deutlicher und beständiger, als die Momente der Freude, welche sich rasch verflüchtigten.
Ganz wenige andere, sowie ich, haben zudem ein selbstverletzendes Verhalten bei Eduard wahrgenommen, welches er damit begründete, um "etwas anderes zu fühlen". Und den selbst zugefügten Schmerz empfand er als angenehm und "befreiend". Jedoch ist dies auch ein komplexeres Produkt mehrerer Faktoren seiner Depression.

Die Konsequenz: Die Menschen streben bewusst oder unbewusst nach Glückseligkeit. Erreichen sie diese nicht, verfallen sie in schwermütige, gar depressive Gemütslagen. Eduard hatte großes Unglück durch sein hohes Empathievermögen gespürt, was letztlich dazu beitrug, dass er außer diesem Leid kaum noch positive Empfindungen hatte, oder wahrnahm. Darüber hinaus hatte er diese emotionalen Regungen falsch verarbeitet. Statt sich ein wenig davon zu distanzieren und etwas konstruktives daraus zu entwickeln, ließ er sich davon stark affektieren, was destruktive Auswirkungen auf seine gesamte Psyche hatte. Man könnte sagen, dass er sich selbst und seinen Gefühlen schier wehrlos ausgeliefert war.



Letztlich Depression:

All diese Faktoren, die ich bisher zusammenfassend dargestellt habe - und nicht sicher bin, ob ich etwas ausgelassen habe - führten in ihrem komplexen Zusammenspiel dazu, dass man ihn als depressiven Menschen einstufen konnte, der rasch eine Suizidalität entwickelte. Er war das Leben leid und begann bereits früh damit sich mit suizidalem Gedankengut auseinander zu setzen, sodass es für ihn mit der Zeit zunehmend Gestalt annahm. Die depressive Grundstimmung und die damit verbundenen Faktoren, die er jeden Tag in sich hatte, wurden wohl eines Tages stark genug, um ihn endgültig dazu zu treiben einen längerfristigen Plan auszutüfteln, der ihm zu einen von ihm erdachten "günstigen Zeitpunkt" den Tod bescheren würde, was er leider als einzigen Ausweg aus seiner Misere sah und sich dort nicht reinreden ließ. Er wollte es so und ließ sich nicht aufhalten. Eduard meinte einst zu mir, dass er sich dafür hassen würde, dass er mitverantwortlich dafür wäre, dass es Menschen gab, die ihn mochten, da er wusste, dass diese sehr leiden werden, sollte er eines Tages gehen. Aber auch diese Reue, die er verspürte, war nicht stark genug, um den Todeswunsch in sich zu ersticken.
Leider...
Ich habe mein möglichstes getan, um ihn von diesem Weg abzubringen, aber bin gescheitert und denke, dass ich vielleicht hätte mehr tun sollen. Was auch immer dieses "mehr" gewesen wäre...



Es ist mir bewusst, dass selbst mein Versuch hier eine Antwort auf das große "Warum" zu geben, nicht zufriedenstellend sein kann. Denn hinter jedem Antwortpartikel steht wieder ein "Warum?", oder "Wieso? Woher kommt das?". Aber so könnte man das eine lange Zeit weiterführen, bis man irgendwann bemerkt, dass es im Nichts endet. Irgendwann wird ein Punkt erreicht, an dem es keinerlei plausible Antwort mehr gibt. Deswegen sollte man versuchen sich mit dem, was man an Informationen hat, "zufrieden zu geben", um sich eine weitere Serie aus Schmerz und Trauer zu ersparen und die Gegenwart akzeptieren, wie sie ist, sowie versuchen einen Weg zu finden in ihr zurecht zu kommen.



Im Folgenden nun die (möglichen) Antworten auf weitere Fragen.



Wann?


Die Entwicklung einer suizidalen Depression beginnt schleichend. Man kann nicht genau sagen wie lange es dauert, bis bei einem Menschen bestimmte Gedanken zu der endgültigen Entscheidung ausarten.
Von Eduards Suizidgedanken habe ich relativ früh erfahren. Bereits nach wenigen Monaten unserer Bekanntschaft kamen wir irgendwie auf dieses Thema. Allerdings dachte ich für eine lange Zeit, dass es nur Gedanken sein würden, die bei Gedanken bleiben würden, aber nicht zu Taten ausschreiten. Heute erkenne ich, dass ich leichtsinnig und naiv war.
Als ich ihn fragte, seit wann er diese Gedanken habe, also wann es angefangen hatte, antwortete er, dass er erstmals mit etwa zehn Jahren angefangen hatte ein negatives Weltbild zu entwickeln und es nicht lange dauerte, bis sich erstmals Gedanken, die sich mit dem Tod - mit seinem Tod - befassten, bemerkbar machten. Wie auch in seinem Abschiedsbrief - wenn man das so nennen kann - teilte er mir mit, dass er es sich bereits seit vielen Jahren nüchtern überlegte, da er diese Entscheidung nicht leichtfertig fällen wollte, sondern wohl durchdacht und nicht von wilden Gefühlsregungen geritten.

Das erste Mal, als er es (fest beschlossen) vorhatte, war am 23.01.2012, was er (glücklicherweise) letztlich doch nicht getan hatte.


Der Tag der Tragödie war der 16.05.2012. Es geschah vermutlich zwischen 12 und 17 Uhr nachmittags.


Heute vor fast exakt 4 Monaten begann seine Bestattungszeremonie.



Wo?

Er führte seinen Selbstmord in der Wohnung durch, in welcher er mit seiner Mutter zusammen lebte. Genauer: In seinem Zimmer. (Für weitere Informationen diesbezüglich, siehe: Animus de Lupus Terre - Schock)




Die Antwort auf die folgende Frage sollten Sie, sehr verehrter Leser, sich nur durchlesen, wenn Sie einen stabilen Charakter besitzen, der es Ihnen ermöglicht die folgende Information zu verkraften. Ansonsten sollten Sie die Antwort auf die folgende Frage besser nicht durchlesen.


Wie?

Eduard hat sich mittels KCN (Zyankali - auch bekannt als "Blausäure") umgebracht. Er hat es sich den Ermittlungen zufolge selbst hergestellt. Begabt in den Naturwissenschaften war er schließlich, sodass dies wohl keine allzu große Herausforderung für ihn gewesen sein muss. Er hat es offensichtlich als Dampf eingeatmet.
Die Wirkung von KCN gleicht einer Art Erstickungstod. Der Wirkstoff bindet irreversibel sich an Eisen(III)-Ionen eines Enyms, welches für die Zellatmung verantwortlich ist. Damit blockiert der Wirkstoff die Sauerstoffbindung und die Zellatmung kommt zum erliegen, wodurch Symptome einer Suffokation (Erstickung) entstehen.
Der Tod durch KCN ist somit qualvoll und unumkehrbar. Sollte man sich in letzter Sekunde dagegen entscheiden, ist es zu spät. Hat man es einmal eingenommen, gibt es kein Zurück mehr...



Auch aus der Antwort auf die letzte Frage resultierend, frage ich mich etwas, worauf ich keine Antworten gefunden habe und wohl auch nie finden werde: 

Was ging ihm in den letzten Minuten durch den Kopf, und was in den letzten Sekunden? 

Was wäre, wenn ich etwas anders gemacht hätte?

Letztlich werde ich die Antworten auf diese Fragen wohl niemals in Erfahrung bringen können. Ich weiß nicht einmal mit absoluter Sicherheit, ob ich mit meiner Antwort auf die Frage "Warum?" richtig liege. Aber was bleibt mir anderes übrig, als mich damit irgendwie abzufinden..?



Ich schließe die von mir geplante Reihe, die ausschließlich Eduard gewidmet ist, hiermit mit diesem Eintrag ab. Gewiss werde ich auch in Zukunft Werke verfassen, die ich gänzlich Eduard widme. Doch diese ununterbrochene Reihe aus 7 (8) Einträgen soll nicht nur eine Art Ehrung darstellen, sondern sollte auch mir bei der Verarbeitung meiner Trauer dienen. Ich hoffe, dass vielleicht auch andere, die diese Blogeinträge lesen, dem etwas abgewinnen können.



- Es wird kein Tag vergehen, an dem ich nicht an dich, Eduard, denken werde...


Lupus Terre


 

Sonntag, 16. September 2012

Akzeptanz


Heute, Eduard, hättest du Geburtstag.
Heute, mein lieber Freund, wärst du 19 Jahre alt geworden.
Heute, mein Bruder, bist du aber nicht hier.
Vor nunmehr 4 Monaten geschah es, als die Welt für mich unterging, weil du beschlossen hattest deinem Leben vorzeitig ein Ende zu setzen.
Die gesamte Zeit seitdem gleicht postapokalyptischen Zuständen - zumindest in der Gefühlswelt.
In den Menschen, die dir nahe gewesen sind, ist nur noch eine leblose, trockene Wüste voller Trümmer vorzufinden.
manche sogar, wissen nicht mehr, was das Wort "Freude" bedeutet.
Der Tag, jener Tag erschütterte uns und riss nicht bloß ein gewaltiges Loch in unsere Herzen, sondern verfärbte es auch schwarz.
Wir bluten, wir weinen, wir trauern still, aber wir lachen nicht.
Wir vermissen dich so sehr, dass wir manchmal denken, dich irgendwo munter umher wandern zu sehen. Doch dies stellt sich als bittere Enttäuschung dar, und auf den süßen Geschmack der Freude dich wiederzusehen, folgt ein erbitterter Schlag, der uns wieder zurück in die beklemmende Finsternis stößt, aus der wir versuchen zu entkommen.
Es ist schwer, hart, gewaltig. Keine Worte könnten diesen Zustand angemessen beschreiben. Keinem Feind würde ich das wünschen. Niemand sollte erleiden müssen, was wir wegen dir erleiden. Niemand kann einem wirklich helfen, sobald man in das Loch gestürzt ist. Man muss es alleine - aus eigener Kraft - schaffen. Und es braucht viel Zeit. Zeit, die für die einen endlos zu sein scheint.
Es nagt an den Kräften, bis man keine mehr hat, um zu trauern, und keine für irgendetwas anderes. Man sitzt nur noch da und während man vor sich hin vegetiert, schreitet der innere Zerfall voran, der mit schwelender Hitze auch die letzten Fragmente einer zerbrochenen Person - wie wir sie sind - zu verbrennen weiß, sofern man es nicht schafft sich dagegen zu wehren, sich nicht gegen die fortschreitende Zerstörung zu verteidigen weiß, nicht in der Lage ist wenigstens sich selbst zu retten, wenn man schon nicht mächtig genug ist, andere zu retten. Doch es ist schwer darüber zu stehen, noch schwerer ist es, überhaupt dort hin zu kommen, wo man vor dem Schaden, den du angerichtet hast, Eduard, auch nur in Ansätzen sicher ist.
Vielleicht ist es unsere Schuld, dass wir dich so sehr in unsere Herzen geschlossen haben. Aber vielleicht ist es doch deine Schuld, da du keine Rücksicht genommen hast.
Es mag sein, dass viele denken, diese Tat sei eine rein persönliche Entscheidung. Doch das ist sie nicht. Alle Menschen sind in einem komplexen Netz aneinander angebunden, fällt einer aus diesem heraus, sind besonders jene betroffen, die dieser Person am nächsten standen. Es ist also keineswegs eine rein persönliche Entscheidung, es ist eine egoistische, die verheerenden Schaden anrichtet.
Und doch hast du es getan. Zuerst will man dies nicht wahrhaben und denkt, es sei eine Illusion, eine falsche Realität, aus der man wie aus einem Traum bald aufwacht. Doch man wacht nicht auf, man hört nicht auf diesen Schmerz zu spüren, man stellt bitter fest, dass diese falsche Realität nicht falsch ist, man merkt, dass es wahr ist, so sehr man sich auch etwas anderes wünscht und letztlich muss man sich in dieser Realität zuirecht finden.

Ich für meinen Teil kämpfe nicht mehr dagegen an und versuche nicht mehr mich vergeblich an der Vergangenheit festzuhalten, an dem, was ich mal war, was wir mal waren.
Ich öffne meine Augen der Gegenwart, der Realität, wie sie ist.
Eine Realität ohne dich.
Ich akzeptiere mit großem Schmerz, der mit jedem Atemzug in meiner Seele sticht, dass du fort bist und nie mehr wiederkehren wirst.
Ich akzeptiere es, dass du mich und die anderen verlassen hast und ich nichts tun kann, um das rückgängig zu machen.
Ich akzeptiere die Realität, wie sie ist.
Wenngleich ich es niemals werde gutheißen können,
akzeptiere ich, dass du tot bist.

Ich werde dich stets in Erinnerung behalten, mein Freund,
und unsere gemeinsamen Erlebnisse niemals vergessen.


Lupus Terre


 

Sonntag, 19. August 2012

Trockenheit


Nicht nur die sengende Hitze dieser Tage sorgt dafür, dass Flora & Fauna auf schmelzendem Asphalt vor sich hin siechen, auch im Inneren ist eine Dürre eingekehrt, die jegliche Regung in der Gefühlswelt in eine emotionslose Wüste wandelt.
Die Unsäglichkeiten immer noch gegenwärtiger Zeiten haben die Monumente im Inneren niedergebrannt und nun findet sich dort nichts weiter als ein Wind aus Asche, der über verdorrten Boden weht.
Das Feuer hast du gelegt, Eduard, liebster Freund von allen.
All die Tränen, die ich vergossen habe, konnten dieses Feuer nicht löschen. Unermüdlich brannte es weiter, bis absolut alles in mir Asche ward.
Was ist mir geblieben?
In meinen Händen halte ich die trockene heiße Erde, die letzten Zeugen dessen, worauf dereinst ein Paradies thronte, welches durch dich gedieh.
Das Feuer brannte alles nieder, und was von ihm noch nicht vernichtet wurde, wandelt sich immer mehr in kohlige, glühende Reliquien, welche auch mehr und mehr diesen Flammen, die du gesät, nachgeben. Nichts ist stark genug, um dem zu widerstehen.

Ich laufe über die Asche meiner selbst, schmiege meine Füße an die Weißglut, der ich begegne, aber spüre keinen Schmerz mehr. Denn auch das, was dereinst dafür verantwortlich war mir den Schmerz zu erklären, ist unter deinen Flammen untergegangen. Nur noch verbranntes Fleisch kann ich dann riechen, aber Dumpf ist mein Gemüt, Dumpf ist mein Empfinden, vernichtet, vertrocknet, leer.
Fühle keine Angst, fühle keine Hoffnung, fühle kein Wohlsein, fühle kein Unwohlsein.
Zwischen zwei Welten bin ich gefangen, wandle auf einem schmalen Grat, der einen Seite ein Schwert gestellt, der anderen Seite fremde Erinnerungen nur.

Trockenheit ist über mich eingekehrt. Durch und durch bin ich verdorrt. Meine Tränen verdunsten, ehe es mir möglich ist sie aus meinen Augen treten zu lassen. Denn im Inneren dieser sonnengleiche Hitze bereits jedes Gemüt entweicht.
Was ist mir geblieben?
Ein verdunstender salziger See, die Quelle meiner Tränen, die unter dem Feuer schwindet, und die Arie einer vereinsamten Witwe, die in den lodernden Flammen vor Schmerzen schreit, nicht singt.
Ein Inferno, kein Feuerwerk, in der Welt aus meinem Inneren.

Und ich frage dich erneut:
Was ist mir geblieben?
Ein Name auf ein Schild graviert,
ein stiller Ort nicht weit entfernt,
ein Haufen toter Erde zu meinen Füßen
und Grabsteine ringsum zum Grüßen.
Nur die Rede in meinem Kopf,
mit dir, dem, der du mal warst.
Ein Kampf um Erinnerungen,
ein Kampf um dich.
Der Versuch dich bei mir zu halten,
doch deine Flammen hindern mich...


Lupus Terre



Montag, 16. Juli 2012

Konfrontation


Der Morgen nach der Nacht, in der man in einer Welt versunken ist, die fernab jeglicher Realität ihre Geschichten schreibt, erweckt in mir die Illusion es sei alles wie gewohnt. Doch sobald ich meine Augen aus der Schlaftrunkenheit gerieben habe und das Sonnenlicht des neuen Tages empfange, wird mir bewusst, dass nichts ist, wie gewohnt. So lebhaft die ersten Gedanken und Gefühle auch sind, die ich nach dem Aufwachen empfinde, so sehr muss ich mir doch auch eingestehen, dass sie lediglich ein Überbleibsel aus dieser fernen Welt sind und so sehr muss ich mir doch auch eingestehen, dass es ein großes Loch in mir gibt, das durch nichts gefüllt werden kann.
In jeder Sekunde des Wachzustands und an jedem Ort, an dem ich bin - egal welcher es auch sein mag, ob öffentliche Straßen, das eigene Zimmer, öffentliche Orte, oder stille und private - werde ich daran erinnert, was geschehen ist, werde daran erinnert, dass du fort bist...
In jeder Situation, die ähnlich den Situationen ist, denen wir beide früher gemeinsam begegnet sind, werde ich an dich erinnert und spüre wieder die schmerzende Tatsache, dass du fort bist...
In jedem Augenblick, in dem ich deswegen Tränen verliere, in dem ich vor Schmerz schreie, in dem es mir schlecht geht, werde ich daran erinnert, dass ich mit dir über alles, was mir auf dem Herzen lag, reden konnte, werde daran erinnert, dass du immer da warst, um mich zu stützen und immer ein offenes Ohr hattest, doch muss ich mir nun eingestehen, dass du fort bist...

Früher einmal habe ich nur Positives mit dir verbunden. Deine Anwesenheit, lachend oder schweigend, war immer ein Segen und eine Freude für mich. Denn noch nie hatte ich jemanden, dem ich so sehr vertraut habe, mit dem ich mich so verbunden gefühlt habe, wie mit dir.
Nun jedoch ist jede Erinnerung an dich - sei es eine schöne, oder eine schlechte - mit einem gewaltigem Schmerz verbunden, der mich nicht lächeln lässt, sondern mir die Tränen in die Augen treibt und mich innerlich erwürgt.
Du wirst diese Worte, die ich hier schreibe, niemals lesen können und auch niemals hören, und dennoch schreibe ich sie dir, weil ich einfach nicht akzeptieren will, dass es wirklich schon um dich geschehen ist.
Ich kann es nicht akzeptieren. Ich will es auch nicht akzeptieren.
Jedes Lächeln, dass sich über meine Lippen quält, ist eine große Lüge, die ich nach Außen dringen lasse, um anderen den Eindruck zu vermitteln, es ginge mir gut.
ABER ES GEHT MIR NICHT GUT!!!
ES GEHT MIR NICHT GUT UND ES WIRD MIR NIE WIEDER GUT GEHEN, ohne dich...

Bald hat eine gemeinsame gute Freundin von uns Geburtstag. Du warst der einzige von uns, der ihr stets Blumen geschenkt hat. Doch nun ist niemand da, der ihr Blumen schenkt.
Du warst bei uns, als wir ein gemeinsames Geschenk für einen unserer gemeinsamen guten Freunde suchten. Doch nun bist du nicht mehr da, deine Worte, deine Ratschläge, deine Anwesenheit fehlt!
Du fehlst! Du fehlst mehr, als du dir wohl je erträumt hast!
In jeder verfluchten Kleinigkeit spiegelt sich dein Antlitz wider!
Schaue ich meinem Ebenbild im Spiegel in die Augen, sehe ich nicht mehr denjenigen, dem ich noch vor über zwei Monaten in die Augen geblickt habe.
Ich sehe jemanden, dem etwas extrem Wichtiges im Leben verloren gegangen ist. Ich sehe in die Augen eines gebrochenen kleinen Jungen, der hilflos in der Dunkelheit nach jemandem schreit, der ihm die Hand reicht, um ihn aus dieser Dunkelheit zu führen. Doch niemand ist dort. Alle sind fort. Niemand ist dort, um ihn in Sicherheit zu bringen.
Als du noch da warst, war ich mit dir gemeinsam eine Art Einheit. Ich fühlte mich nicht alleine, ich fühlte mich geborgen, ich fühlte mich in Sicherheit, ich fühlte mich stark.
Doch mit dir ist auch in mir etwas gestorben.
Mit dir ist ein Teil von mir gestorben.
Mit dir ist meine andere Hälfte gestorben.

Und ich bin nun damit konfrontiert, dass es nie wieder kommen wird, dass DU nie wieder kommen wirst. Nun bin ich mit der unglaublich anspruchsvollen Aufgabe konfrontiert zu akzeptieren, dass du nicht mehr da bist, und es schmerzt höllisch, weil ich nicht mehr stark genug bin. Weil du fort bist, bin ich schwach geworden.
Jeder Gedanke daran nun damit irgendwie zurecht kommen zu müssen, dass du weg bist schmerzt mehr als jede erdenkliche physische Folter, die sich der grausame menschliche Verstand je irgendwann auf dem gesamten Erdball in der gesamten Erdgeschichte ausgedacht hat.
Und ich muss mich hindurchquälen, während ich diese Zeilen an dich gewidmet schreibe.

Genau wie noch vor Monaten überprüfe ich jedes mal, wenn ich im Chat online komme, ob du ebenfalls da bist, aber du bist es nicht...
Genau wie noch vor Monaten habe ich jedes mal, wenn ich in eine U-Bahn steige, das Gefühl, dich dort anzutreffen, aber du bist nicht da...
Genau wie noch vor Monaten denke ich jedes Mal, wenn ich aus dem Handy deine Festnetztelefonnummer suche, daran, dass ich deine vertraute Stimme hören werde, doch das einzige, das ich höre, ist deine Stimme auf dem Anrufbeantworter.
Geschockt und erfreut denke ich dann erst jedes mal, dass du noch da wärst, dass du noch am Leben wärst, dass du noch echt wärst, echter, als die bloße Erinnerung an dich, die genausogut ein schöner Traum aus einer fernen Welt sein könnte.

Ich schaue mir die wenigen Fotos und die wenigen Videos an, die es von dir gibt. Auf denen wirkst du noch so nah, noch so fröhlich, noch so, als wäre alles in Ordnung. Aber wie ich dann jedes Mal feststellen muss, bist du nicht mehr nah, bist nicht mehr fröhlich, und es ist nicht mehr alles in Ordnung, und es wird es nie wieder sein... nie wieder.... nie wieder..... nie wieder....
Egal, wie oft ich es mir einrede, egal, wie oft ich es sage, egal wie oft ich nachts weine und deinen Namen schreie, ich KANN es einfach nicht wahrhaben und schon gar nicht akzeptieren.... es geht nicht.... ES GEHT NICHT!!! ICH WILL NICHT, DASS DU FORT BIST!!!
Und doch bliebt dieses flaue, morbide, zerstörerische Gefühl in mir, dass das Loch in mir vergrößert, mich von innen heraus auffrisst und mir sagt: Es wird nie wieder so sein wie früher, es wird nun immer anders sein, es wird nie wieder auch nur irgendwie "in Ordnung" sein...


Es gibt so viele Gegenstände, die mich an dich erinnern. Jeder von ihnen kann von einer Geschichte, in der du vorkommst, erzählen. Und selbst, wenn ich all diese Gegenstände zerstören würde, um nicht mehr so schmerzhaft an dich erinnert zu werden, kann ich nicht einfach den Schatten aus meinen Gedanken tilgen und nur das Positive an dich in meinem Herzen bewahren.
Ich kann und will dich einfach nicht gehen lassen und muss dafür diesen unsäglichen Schmerz ertragen...

Nie hätte ich es mir gedacht, dass ich irgendwann einmal der Beerdigung meines allerbesten Freundes beiwohnen müsste, nicht in so naher Zukunft. Doch der Anblick, den ich am Tag deiner Beerdigung ertragen musste, lässt sich nicht aus meinen Gedanken radieren. Ich kann dein Gesicht von diesem Tage nicht vergessen, und kann auch nicht vergessen, dass ich tatsächlich an deinem Grab stand, auf dem in klaren Buchstaben dein Name geschrieben steht. Nie hätte ich auch nur in meinen schlimmsten Alpträumen befürchtet, eines Tages deinen Sarg zu begleiten, und so sehr zu weinen, dass ich den Boden unter meinen Füßen nicht mehr erkennen kann.

Es ist nun zwei Monate her, dass du, mein eigener bester Freund, gestorben bist. Eine Zeit, die schneller verging, als sie es sollte. Und auch, wenn ich mich nun viel öfter mit unseren Freunden treffe, als wir es je zuvor gemacht haben, fühle ich mich einsam und verloren.
Auch wenn ich noch so viele Stunden mit ihnen verbringe und mit ihnen rede, fühle ich mich allein. Es wirkt so unreal, als würde ich das in Wahrheit nicht erleben, sondern wäre noch in der Zeit von vor zwei Monaten, wo alles noch in Ordnung war...

Jedem Menschen, der mit mir über seine Probleme geredet hat, konnte ich helfen. Jedem, ausser dir.
Ich habe bei dir, als dein bester Freund, kläglich versagt.
Ich habe bei meinem besten Freund als Mensch versagt.
Umso härter trifft es mich. Umso härter empfinde ich die Tatsache, die Zeit nicht zurück drehen zu können. Umso mehr will ich nicht akzeptieren, dass das alles wirklich geschehen ist...

Du warst mein Bruder, und du wirst es immer sein.........



Lupus Terre

Montag, 25. Juni 2012

Angst & Wut


Schattenreich.
Salzig süße Meere ergeben sich deiner Gewalt.
Schattenreich.
Dickflüssiges schwarzes Blut pulsiert durch deine Narben.
Schattenreich.
Verschlingst jedes Photon und jeden Hauch von Freude.
Schattenreich.
Nimm mir nicht das Heiligste!

Echos hallen durch verdorrte Ebenen.
Und müde Schreie flüstern mir ins Ohr:
"Eile! Eile, Kind!
Sonst ist es verwirkt.
Renne geschwind!
Denn er stirbt."

Die Zeit, sie trocknet,
aber läuft hinfort,
lässt mir keine Chance.

Schattenreich.
Nimm mir nicht das Heiligste!

Ich eile wie ich kann,
aber der Boden zäh wie Pech.
Schritte vorwärts sind Schritte zurück.
Schritte zurück sind Schritte ins...

Schattenreich.
Nimm mir nicht das Heiligste!

Stürze in der Tiefe.
Der Tiefe gewalt'ger Durst
frei von jeder Lust.
Als ob dort etwas riefe.
Treibt mich an.
Treibt mich fort.
Ungenau wann,
wie der Ort.

Schattenreich.
Nimm mir nicht das Heiligste!
Schattenreich.
Flucht ist sinnlos.
Schattenreich.
Kraftvoll deine Wogen.
Schattenreich.
Weinst dunkle Fetzen.
Schattenreich.
Greif nicht nach meinem Herzen!
Schattenreich!
Nimm mir nicht das Heiligste!

Ein Flehen
Mein Flehen
Das Flehen
Geschundener Wulst
Zerkratzter Knie
Vertriebenen Seins

Furcht in Ketten, abgemagert, des Fleisches abgenagt.
Angst in Nägeln, blutgetränkt, ins Mark geschlagen.
In den Augen eingebrannt die Schrift des Entsetzens.
In das Gehirn gemeißelt rotiert der Schlag des Motors.

Schattenreich!
Nimm mir nicht das Heiligste!
Schattenreich!
Erquicke dich dem Triefen siechend!
Schattenreich!
Nimm mir nicht das Heiligste!

Bitte!
Bitte!
Bitte!
Ich eile.
Hoffe zu stoppen.
Bitte!
Bitte!
Bitte!
Hab' Gnade!
Nimm mein Opfer!
Bitte!
Bitte!
Bitte!

Ich kann es nicht ertragen.
Ich will es nicht mal wagen.
Der Körper versteckt im...
Das Antlitz verdeckt vom...

Schattenreich!
Gib mir nicht das Dunkel!
Schattenreich!
Ich habe Angst!
Schattenreich!
Ist es das, was du willst?
Schattenreich...
Schattenreich...
Schattenreich...


Ich versinke.
Nicht im Boden.
Nicht im Meer.
Ich versinke.
In mir selbst.


Warum hast du das getan?!
Warum hast du uns verlassen?!
Warum hast du dich ergeben?!
Warum hat es dich geholt?!
Warum hat es keine Gnade?!
Warum hat es kein Gemüt?!
Warum waren deine Worte stumm?

Nein!
Nein!
Nein!
Ich will das nicht ertragen!
Ich will das nicht erleben!
Ich will es nicht wahrhaben!
Ich will so nicht mehr leben!

So hättest du doch was sagen sollen!
So hättest du doch schreien sollen!
So hättest du doch um dich geschlagen!
Aber nun stehe ich vor deinem Namen.
Eingraviert in mattes Holz.
Eingesteckt in tote Erde.
Eingedeckt im Blumenmeer.
Sehen werde ich dich nimmer mehr...

Schattenreich!
Ich verfluche dich aus tiefstem Herzen!
Schattenreich!
Ich hasse dich so sehr wie nie!
Schattenreich!
Ich will ihn dir entreißen!

Zu mächtig du doch bist,
ihn in meine Hände zu übergeben.
Gefallen ist die Entscheidung;
negiert das Überleben.

Bereue es!
Oder fluchen werd ich mehr.
Bereue es!
Siehe deine Fehler ein!
Bereue es!
Sei nicht so gemein!
Bereue es!
Dann ist es nicht so schwer.

Breche nicht aus mir heraus!
Bleibe, wo du bist!
So lasse doch Gelegenheit,
für nur eine einz'ge List.

Der Schlagabtausch immer schneller,
doch stockte in der Mitte,
doch stürzte in die Tiefe,
nun gebar einen geplatzten Stern.

Lasse mich nicht hier zurück!
Lasse sie nicht hier zurück!
Lasse ihn nicht hier zurück!
Lasse uns nicht hier zurück!
Lasse dich selbst nicht im Stich!

Gedanken explodieren ebenbürtig
Gewaltiges Feuer inbrünstig treibt
Brachial der Schmerz, das Leid, die Pein
Besessenheit von immerwährenden Fragen

Fragen,
die mich plagen.
Qualen,
mir die Freude stahlen.

Wer ist Schuld?!
Was ist Schuld?!
Wo ist es?!
Kein Ja, kein Nein.
Kein Vielleicht, kein Weil.
Kein Bruchteil angekratzt
an den Siegeln der Rätsel.


Schattenreich!
Oh Schattenreich!
Schattenreich!
Ich will fort von dir!
Schattenreich!
Oh Schattenreich!
Ich verachte dich!

Schattenreich!
Schattenreich!
Schattenreich!
Nun ist es zu spät...



by
Lupus Terre



Samstag, 16. Juni 2012

Schock


Es war der 16te Mai 2012, als Eduard den Freitod wählte. Es war ein sonniger Mittwoch. Für alle aus meinem Freundeskreis war es der letzte Tag der Abiturprüfungen. Mündliches Abitur, um genau zu sein. Es ist überraschend, wie viele an dem Tag bereits geahnt hatten, dass etwas passieren würde. Wie ein Miasma, das in der Luft lag.
Als ich meine Tasche packte, während ich mich mental auf die Abiturprüfung vorbereitete, fiel ein kleiner schmaler Streifen Papier aus einem von meinen Notizblöcken herunter auf den Boden. Ich hob ihn auf und las, was auf ihm stand: "Your friend needs attention." und auf der Rückseite: "Ihr Freund braucht Ihre Aufmerksamkeit.". Es war der Zettel aus dem Glückskeks, den mein Mathelehrer an jedes Kursmitglied am Tag der Mathematik-Abiturprüfung ausgeteilt hatte. An dem Tag saß Eduard hinter mir. Als ich den Zettel das erste Mal gelesen hatte, drehte ich mich zu Eduard um und wedelte damit vor seiner Nase herum. Scherzhaft hatte ich gesagt: "Soso du brauchst also meine Aufmerksamkeit.". Eduard schnappte sich den Zettel las ihn und grinste hämisch. So wie es typisch für ihn war. Er hatte gesagt: "Du glaubst doch nicht etwa an den Quatsch, oder?" und ich hatte reagiert: "Nicht immer." und hatte mir daraufhin den Zettel wieder geholt und ihn in meinem Portemonnaie verstaut.
In der Woche vor dem 16ten ist mir der Zettel - vom 16ten selbst abgesehen - insgesamt drei Mal wieder unter die Augen gekommen. Beim ersten Mal legte ich ihn zwischen die Seiten eines Notizblocks. Jedes Mal, wenn er mir unter die Augen kam, musste ich spontan an Eduard denken. Danach erst überlegte ich, wer noch hätte gemeint sein können.
Wenn ich - wie jetzt - im Nachhinein resümiere, könnte ich das als Zeichen auslegen. Als Zeichen vom Schicksal, oder irgendeiner höheren Macht - auch wenn ich an sich nicht an so etwas glaube - gedacht dazu, mich wachzurütteln und auf Eduard aufmerksam zu machen. Immerhin hatte er es schon einmal vor und eine Reihe glücklicher Zufälle war es, die ihn davon letztlich doch abhielten und mich davon erfahren ließen. Ich hatte oft mit ihm darüber geredet.
Das vierte Mal, vor der Abiturprüfung, beim Packen der Tasche, vormittags, las ich den Zettel wieder und dachte wieder spontan an Eduard. Ich hatte überlegt ihn anzurufen, um zu erfragen wie er fährt, und ob wir uns vielleicht noch treffen, hatte den Gedanken jedoch abgetan, da ich vermutete, dass er bereits bei der Abiturprüfung war - ich kannte die Zeiten nicht - und wollte kein Risiko eingehen, zwar hatte er sein Handy stets auf lautlos, aber er hatte es auch stets an. Und ich wollte nicht derjenige sein, der ihn mitten in der Prüfung angerufen hätte und ihn gestört hätte, womöglich alles versaut hätte... wäre er jemals zur Prüfung gegangen.
Wenn ich jetzt so im Nachhinein darüber nachdenke bereue ich es, nicht angerufen zu haben und bereue es, mich nicht bei ihm erkundigt zu haben, wie es ihm geht, denn es war fast eine Woche her, als wir das letzte Mal Kontakt hatten. Vielleicht hätte es noch etwas gebracht ihn anzurufen bevor ich ging...

Als ich in der Schule war und darauf wartete zur Prüfung abgeholt zu werden, wurde ich von einem Stufenmitglied gefragt, wo Eduard sei. Denn angeblich war er nicht erschienen und auch nicht zur Prüfung angetreten. Abgemeldet hatte er sich auch nicht. Ich vermutete, dass er sich verspäten würde, womöglich war er zu spät aufgestanden und hatte auf diese Weise seine Verbindung verpasst.
Hätte ich genug Guthaben auf meinem Handy gehabt, hätte ich ihn angerufen. Doch mit 6ct und Preisen von 9ct pro Minute in andere Netze war dies nicht zu bewerkstelligen.
Zwar fand ich es relativ merkwürdig, doch große Sorgen beziehungsweise viele Gedanken machte ich mir deswegen nicht. Immerhin war so etwas nicht wirklich untypisch für ihn.

Nachdem ich meine Abiturprüfung stammelnd und mit dem Gefühl zu schlecht gewesen zu sein verlassen hatte und unter Anderem mit Jacqueline, mit der ich befreundet bin, auf die Note gewartet hatte, war von Eduard immer noch keine Spur. Ich bekam mit, wie sein Geschichtslehrer in einigen Metern Entfernung mit Kollegen und einem Schüler darüber geredet hatte, dass Eduard nicht da war. Da begann ich mich zu fragen, warum er immer noch nicht gekommen war. Prüfungsangst hatte er wohl kaum. Auch wenn Geschichte das Prüfungsfach war - ein Fach, das er bereute gewählt zu haben - war Eduard nicht jemand, der Angst vor Prüfungen, oder deren Ergebnisse, hatte. Ihm waren seine Noten in einem gewissen Rahmen egal, denn er hatte vor Physik zu studieren und das war in der Regel zulassungsfrei. Der Numerus Clausus und jeglicher Leistungsdruck ist also nichts gewesen, was Eduard irgendwie bekümmerte, solange er sein Abitur bekam, und das hätte er sicherlich bekommen - nicht einmal mit einem schlechten Durchschnitt, da er vor Allem in den Naturwissenschaftlichen Fächern immer sehr gute Noten bekam.
Jacqueline unterbreitete mir das Angebot ihr Handy zu nutzen, um Eduard anzurufen. Aber ich lehnte es ab und sagte etwas wie: "Danke, aber das ist nicht nötig. Ich denke er fühlt sich nicht gut, ist krank, oder so. Ich werde ihn mal anrufen sobald ich zu Hause bin.". Sie gab sich damit zufrieden und wir warteten weiter, bis die Noten des mündlichen Abiturs verkündet wurden.
Überrascht und voller Freude war ich, als ich ein "Sehr gut" mit einem kleinen Minus erhielt. Das hätte ich nach der Prüfung, in der ich teilweise relativ unsicher geredet hatte, nicht erwartet. Ich war kurz davor einen Freudentanz aufzuführen - hätte ich einen gekannt.
Ein gutes Gefühl verdankte ich diesem Erfolgserlebnis. Ich war so gut gelaunt, dass ich dachte, nichts könnte mir den Tag noch irgendwie vermiesen.

Auf dem Weg nach Hause - immer noch voller Freude - kam mir dann jedoch irgendwann der Gedanke: "Heute kann mir nichts mehr den Tag vermiesen. Außer vielleicht eine Sache...", und dachte dabei an Eduard, der mir den Tag vermiesen würde, würde ich erfahren, dass er sich etwas angetan hätte. Aber ich verwarf den Gedanken, denn ich erinnerte mich sogleich auch an das Versprechen, das Eduard mir mal gab, als ich versucht hatte ihn dazu zu bewegen Psychologen, Schlaflabore und Neurologen aufzusuchen, um sich helfen zu lassen. Damals forderte er mich auf davon abzulassen solchen Druck auf ihn auszuüben und fügte an, dass er wisse woran es liegt, und er es selbst in den Griff bekäme. Ich gab nur nach, nachdem ich von ihm das Versprechen verlangt hatte, er solle "keinen Scheiß" machen, sich also nichts antun, und schon gar nicht wieder auf die Idee kommen einen Suizid zu begehen. Er versprach es mir und ich gab mich damit zufrieden - wie naiv ich war!
Jetzt bereue ich es. Einerseits wollte ich ihm nicht durch mein Handeln mehr schaden, aber wenn ich die Zeit zurückdrehen könnte, würde ich absolut alles daran setzen ihm jegliche Hilfe zukommen zu lassen, die er benötigt hätte, ganz gleich, ob er damit einverstanden gewesen wäre, oder nicht!
Es war ein schwerer Fehler meinerseits... ein Fehler, den ich nicht wieder gut machen kann... ein Fehler, mit dem ich nun leben muss, ob ich es kann, oder nicht... es ist verdammt schwer...

Zuhause angekommen berichtete ich meiner Familie von meinem schulischen Erfolg - sie waren ganz begeistert. Und gleich darauf, noch ehe ich aus den Schuhen war, griff ich zum Festnetztelefon und versuchte ihn auf seinem Handy zu erreichen - ohne Erfolg. Danach rief ich auf die Festnetznummer seiner Wohnung an - auch ohne Erfolg. Aber ich hinterließ eine Nachricht auf dem Anrufbeantworter. Ich sagte etwas wie: "Hallo Eduard, drei Fragen: 1. Wie gehts dir? 2. Wo bist du? 3. Wieso warst du nicht in der Schule bei der Prüfung? Ruf mich bitte zurück! Grüße, D."
Unbeschwert, ohne große Sorgen aß ich irgendwann danach zu Mittag. Es gab chinesische Nudeln, eine meiner Leibspeisen.
Doch während ich am Essen war - es war mittlerweile irgendwann gegen 17 Uhr - rief seine Mutter an. Sie klang sehr besorgt und sagte, Eduard hätte sich in seinem Zimmer eingeschlossen und es sei dort alles abgedunkelt. Als ich das hörte begann mein Herz schneller zu schlagen, ich begann mir immer größer werdende Sorgen zu machen, dachte mir Fetzen wie: "Er hat doch nicht etwa...?", oder "Das hat er bestimmt nicht...". Seine Mutter fragte mich, was sie tun solle. Sie erzählte, dass sie versucht hätte ihn durch die Tür hindurch anzusprechen, aber er würde nicht reagieren. Sie fragte, ob sie die Polizei rufen solle, oder warten solle, oder was anderes unternehmen solle. Ich versuchte die Beherrschung nicht zu verlieren und sagte "Abwarten, vielleicht schläft er nur, oder hört über Kopfhörer Musik und will einen Moment alleine sein, und kommt dann irgendwann raus.". Man merkte deutlich, dass sie in Sorge war, und etwas davon streifte auf mich ab. Dennoch bewahrte ich die Fassung und antwortete auf ihre nächste Frage, ob ich wisse, was los sei, ob irgendetwas vorgefallen sei, und ob er denn bei der Abiturprüfung gewesen sei, nur Dinge wie: "Weiss ich nicht", "Nicht das ich wüsste", "Nein, da war er nicht.". Nach einer Weile verabschiedete sie sich mit einer Entschuldigung für die Störung und legte auf. Mein Herz pochte mittlerweile so stark, dass ich fürchtete gleich zu explodieren. Meine Sorgen wuchsen und wuchsen.
Mir kam der 23te Januar in den Sinn. Der Tag, an dem er es schon einmal vorhatte. Und seine Worte, "Wenn ich es noch einmal vorhabe, werde ich es dir nicht sagen, weil ich nicht will, dass es dir wieder so dreckig geht.". Ich erinnerte mich auch an meine Reaktion darauf: "Glaubst du etwa es würde besser sein, wenn du es hinterrücks tust, ohne dass du etwas sagst, und ohne, dass jemand etwas ahnt?", er erwiderte nichts darauf und schwieg lediglich.
Während ich diese Gedanken hatte, setzte ich mich wieder an den Tisch und versuchte weiterzuessen. Aber ich brachte kaum zwei Bissen zustande, welche ich hart meinen trocken gewordenen Hals hinunter zwang. Ich stand wieder auf, informierte kurz meine Mutter über die Situation und bat sie um ihr Handy, damit ich ihm eine SMS schreiben konnte, in der ich ihm mitteilte, dass seine Mutter bei mir angerufen hatte, ich mir Sorgen um ihn machen würde und ihn anflehte: "Mach keinen Scheiß!". Meine Finger zitterten, als ich die SMS schrieb und meine Sorge um ihn ist so groß geworden, dass sich bereits Tränen bemerkbar machten.
Ich fasste den Entschluss unbedingt zu ihm zu fahren. Da ich möglichst schnell dort sein wollte bat ich meine Mutter mich zu bringen. Sie hatte mir die Nervosität und Sorge wohl angesehen. Während sie sich noch fertig machte, nahm die Sorge überhand und ich gestand ihr mit einem Tränenausbruch, dass Eduard schon einmal versucht hatte sich umzubringen. Sie war schockiert, aber bewahrte Fassung, blieb stark. Sie sagte etwas, was ich nicht gänzlich mitbekommen hatte, da ich mit meinen Gedanken gänzlich bei Eduard war.
Wir setzten uns ins Auto und fuhren los. Ich versuchte mich zu beruhigen und die Tränen zurück zu halten.

Auf dem Weg sagte ich ihr, dass ich Angst hätte. Angst um ihn. Sie versuchte mich zu beruhigen. Ich ahnte Böses, befürchtete das Schlimmste.
Ohne wirklich auf meine Mutter zu warten, stürmte ich aus dem Auto, als wir angekommen waren und eilte zur Wohnungstür Eduards, wo ich - bevor ich klingelte - mich noch einmal kräftig zusammenriss, um nicht angeschlagener zu wirken, als die Situation hätte sein können.
Der Mutter war eine gewisse Überraschung ins Gesicht geschrieben, doch sie ließ uns herein. Ich sah, wie die Großeltern Eduards in der Küche saßen und seine Mutter gab mir zu verstehen, ich solle ruhig bleiben, um die Großeltern nicht zu beunruhigen.
Rasch ging ich wenige Schritte zu Eduards Tür, wo ich zunächst anklopfte und sie dann die Klinke hinunter drückte, um die Tür zu öffnen. Doch es gab einen Widerstand. Sie war verschlossen. Seine Mutter kam hinter mir hervor und versuchte mit einem Ersatzschlüssel die Tür zu öffnen. Aber auch das funktionierte nicht, da der andere Schlüssel, oder irgendetwas anderes, von der anderen Seite im Schloss steckte und ein Öffnen unmöglich machte.
Also klopfte ich lauter und versuchte ein zwei mal ihn anzusprechen, währenddessen ist seine Mutter mit meiner Mutter irgendwo anders in die Wohnung gegangen. Bald danach drohte ich: "Wenn du in dreißig Sekunden nicht aufmachst rufe ich die Polizei und Feuerwehr an!" und zählte daraufhin die Sekunden hinunter. Exakt zur dreißigsten Sekunde klopfte ich noch einmal und sagte: "Eduard, ich hoffe du hörst mich, denn ich werde jetzt die Feuerwehr anrufen!". Ich hielt einen Moment inne und hoffte auf ein Lebenszeichen. Danach eilte ich in das Wohnzimmer, wo unsere Mütter auf dem Sofa saßen und miteinander redeten.
Mir quillten die Tränen hervor als ich sagte: "Sofort die Feuerwehr anrufen und einen Krankenwagen anfordern!" und rannte danach zurück zu Eduards Tür, wo ich erneut vergeblich versuchte ihn anzusprechen. Mir schmerzte der Hals und die Tränen konnte ich nicht mehr zurückhalten. Doch das war mir in dem Moment egal.
Seine Mutter kam einige Sekunden später mit einem Telefon in der Hand zu mir und sagte ich solle anrufen. An die Begründung dafür, kann ich mich nicht mehr erinnern, ich war in dem Moment ziemlich in Panik geraten, mein Herz raste, meine Gliedmaßen zitterten. Ich hatte Angst.
Angst, wie noch nie zuvor in meinem gesamten Leben...

Ich griff ohne Weiteres zum Telefon, wählte intuitiv "112" und rief an. Nicht einmal fünf Sekunden später erklang eine junge Männerstimme am anderen Ende und erkundigte sich, was los sei.
Ich erinnere mich nicht mehr an alles, dafür war ich zu sehr in Panik, aber an einige Fetzen schon. Ich nannte meinen Namen und sagte: "vermutlicher Suizidversuch", nannte die Adresse und fügte an "schicken sie einen Krankenwagen und jemanden, der eine Tür aufbrechen kann!". Er fragte nochmal nach der Adresse, und fragte nach dem genauen Ort innerhalb der Wohnung. Dann wies er mich an, dass ich auf die Rettungskräfte irgendwo warten solle. Ich teilte ihm mit, dass ich unten vor der Wohnung an der Straße warten würde." Und als alles geklärt zu sein schien, legte ich auf und rannte nach Unten, wo ich an der Straße wartete.
Nach drei, vier, oder vielleicht fünf Minuten erklangen auch schon Sirenen und Momente später sah ich einen Feuerwehr- und einen Krankenwagen einfahren. Ich winkte dem Fahrer des Feuerwehrfahrzeugs zu, damit er wusste, wo er hin musste. Sie fuhren durch die Feuerwehrzufahrt, ich eilte ihnen nach. Sie stiegen binnen Sekunden aus und sprachen mich an.
Ich war nervös, aber relativ beherrscht. Sie stellten mir diverse Fragen, fragten nach einem Zugang über Fenster, nach der Etage, dem Alter und meiner Beziehung zu Eduard, zeitgleich führte ich sie hoch in die Wohnung zu Eduards Zimmer.
Alles andere, meine Mutter, Eduards Mutter, seine Großeltern, blendete ich aus. Sie verschwanden hinter dem Sturm aus Sorgen und Aufregung, der in mir wütete.
Vor Eduards Tür blieben wir stehen. Eine Feuerwehrfrau fragte mich nach seinem Namen, klopfte an und versuchte ebenfalls ihn anzusprechen - keine Reaktion. Ich wich unterdessen in das Badezimmer aus, welches direkt neben seinem Zimmer war, da es mittlerweile bei den vielen Menschen, die anwesend waren, räumlich eng wurde.
Sie ging zurück, nuschelte irgendetwas. Wie sich herausstellte holte sie jemanden, der ein Brecheisen bei sich trug. Ich stand zitternd um meine Fassung kämpfend daneben, ich fühlte mich, als würde eine unsichtbare Hand all meine Innereien in einem eisigen harten Griff zerdrücken.
Der Feuerwehrmann setzte das Brecheisen an die Tür und brach sie eine halbe Sekunde später mit einem kräftigem Ruck auf. Man hörte das Holz für kaum eine Sekunde quetschen, brechen und splittern. Die Tür sprang auf, alles war dunkel...

Er spähte in sein Zimmer und was er dann sagte werde ich niemals vergessen können, es hat sich eingebrannt... Er sagte: "Da liegt was." und das mit einem nahezu gleichgültigen, analytischen, ruhigen Tonfall. Mein Herz raste. Es pochte extrem stark, so stark, dass mein gesamter Körper bebte. Ich fühlte mich grässlich.
Eduards Mutter stürmte daraufhin ins Zimmer. Und kaum eine Sekunde später erklangen einige sehr laute verzerrte und gequält klingende Worte. Wenn ich mich recht entsinne, wiederholte sie mehrere Male "Oh mein Gott! Oh mein Gott!". In diesem Moment war mir klar, was geschehen war. In diesem Moment erstarrte alles in mir. Mein Herz hörte auf zu schlagen. Ich hörte auf zu atmen und verlor mein Zeitgefühl. Mir war klar, was diese Worte zu bedeuten hatten. Weder in Gedanken, noch mit meiner Stimme sprach ich es jedoch wirklich aus. Es war mehr ein Gefühl, das durch die Situation hindurch mein Bewusstsein flutete und mir klar machte: "Eduard ist tot. Er ist tot!"
Immer noch war ich wie erstarrt.
Ich bemerkte nicht, wie diverse Leute, welche ich gar nicht wirklich wahrnehmen konnte, umher rannen. Was ich jedoch bemerkte war, wie jemand die Rollos des Zimmers öffnete, sodass es dort heller wurde.
Mein Kopf war ausgeschaltet. Ich war katatonisch. Fast wie in Trance bewegte ich mich ins Zimmer, beugte meinen Kopf um die Ecke, blickte zuerst aufs Bett, dann auf seinen Sessel, ehe ich dann auf dem Boden etwas sah...
Ich sah seine Beine. Gestreifte Socken, eine Jeanshose. Das war alles, was ich erkennen konnte, denn sein Oberkörper lag ebenfalls auf dem Boden, zwischen Bett und Sessel verdeckt. Und es hatte mir gereicht. Es versetzte mir einen Stoß, der mich zitternd zurückweichen ließ. Die unsichtbare kalte Hand in meinem Inneren drückte in diesem Moment am kräftigsten zu und zerquetschte somit meine Innereien. So fühlte es sich jedenfalls an. Es entstand ein grässlicher Schmerz, der sich mit keinen Worten beschreiben lässt. Und ebenso hüllte mich eine tiefe große schwarze Leere ein, die mich wie ein schwarzes Loch zu sich zog und mich mit aller Gewalt zerfetzte.
Ich war kurz davor zusammenzubrechen, sodass ich zurück ins Badezimmer ging und mich dort mit meinen Armen auf der Waschmaschine abstützte. Und dann weinte ich. Ich weinte wie noch nie in meinem Leben - unwissend, dass es mich am Tag darauf noch härter erwischen würde.
Ich konnte und wollte es nicht wahrhaben. Er war tot... tot... er hatte es getan...
An diesem Tag, in diesen Momenten, ist etwas in mir gestorben. Etwas, das vorher so unberührt, rein, friedlich und fröhlich war. Es wurde gepackt und mir herausgerissen. Und dann wurde es grausam zerstört. Noch nie habe ich so etwas zuvor in meinem Leben empfunden.
Eduard starb... und mit ihm ein wichtiger Teil von mir...
Seitdem kann ich nicht mehr ernsthaft lächeln. Nur noch halbherzig - wenn überhaupt - so etwas wie "Freude" empfinden. Seitdem scheint mich dieses Loch, das in mich gerissen wurde, innerlich aufzufressen. Und an jenem Tag begann es.
Was dann noch geschah, weiß ich nicht mehr genau. Danach zog alles so schnell an mir vorüber. Ich erinnere mich kaum noch an alle Details.

Ich weiß noch, wie ich ins Wohnzimmer gebracht wurde, wo viele Leute waren. Unter anderem Eduards Mutter, seine Großeltern, meine Mutter und einige Rettungskräfte.
Ich setzte mich und weinte. Irgendein Arzt kam, stellte irgendwelche Fragen, ich weiß nicht mehr welche. Er wirkte ernst.
Die Polizei kam, und dann die Kripo. Sie nahmen unter anderem meine Personalien auf.
Mir wurde schlecht. Ich fühlte mich schwach, zerbrochen. Meine Mutter brachte mir ein Glas Mineralwasser, und danach setzte ich mich in die Küche, weil jemand von der Kripo mit mir reden wollte. Auch er stellte irgendwelche Fragen. Mein Bewusstsein teilte sich dort in zwei Ebenen. Die eine Ebene, welche sich tief in meinem zerstörten Inneren verkroch und versuchte die klaffende Wunde zu flicken, und die andere Ebene, die unbewusst, aber präzise auf fast alles einging, was der Kripobeamte gefragt hatte. Ich war katatonisch. Fühlte zeitweise absolut nichts. Die Realität verschwand im Hintergrund der gewaltigen inneren Leere, und des Sturms aus Gedanken, die durch mein Gehirn rasten.

Dann wurde ich zum Krankenwagen gebracht, bekam eine Infusion, die meinen Kreislauf stabilisieren sollte, und wurde in ein naheliegendes Krankenhaus gefahren, wo ein Psychiater mit mir redete. Ich bekam mit, wie auch Eduards Mutter dort hin gebracht wurde, und irgendwann saßen wir nebeneinander auf der Liege und ließen uns vom Psychiater irgendwelche Dinge erzählen. Wir redeten mit ihm, aber ich weiß kaum noch worüber.
Denn alles, woran ich dachte, war Eduard und der Anblick, den ich als letztes von ihm hatte. Ich dachte an ihn und unsere gemeinsame Zeit. Und ich weinte und schien nicht damit aufhören zu können.

Irgendwann entließ uns der Psychiater und ich bemerkte, dass es Draußen dunkel geworden war. Ein Blick auf die Uhr verriet mir eine Zeit von etwa 22 Uhr abends. Es überraschte mich. Denn es kam mir nicht wie Stunden, sondern wie Minuten vor.

Meine Mutter holte uns ab, brachte Eduards Mutter nach Hause und fuhr uns dann zu unserem Daheim, wo ich mich erschöpft in mein Bett fallen ließ, mir mein Headset aufsetzte und nur noch Musik hörte, so laut es ging. Und ich weinte. Ich weinte, weil es schmerzte und immer noch schmerzt, dass Eduard mich und die anderen verlassen hatte...

Der Schock war es, der mich immer noch nicht wirklich begreifen ließ, dass er tatsächlich fort war, aber zuließ, dass ich Schmerz empfand. Der Schock war es, der mich in einen Zustand versetzte, der mir enorm meine Kräfte raubte und mich dazu brachte Stunden wie Minuten zu empfinden. Der Schock war es, der diesen Tag für mich, meine Eltern, und vor Allem auch für Eduards Familie, zeichnete.

Alsbald sich der Schock jedoch gelegt hatte und ich am nächsten Tag der grausamen Realität ins Auge blickte, bemerkte ich erst, dass diese Welt für mich unterging und das Schmerzen verursachte, die jedwede vergleichbaren physischen und psychischen Empfindungen, die ich davor hatte, um ein unbeschreiblich großes Vielfaches extrem übertrafen, selbst die vom Vortag, und mich somit in eine düstere Welt führten, in der nicht das Licht und nicht der Frohsinn vorherrschte, sondern die Qual, die Trauer und eine unendliche, bodenlose tiefe Schwärze.
Die Welt ging an diesen Tagen für mich unter und die Qual zeichnete mich. Nichts wird jemals wieder so sein, wie es vorher war. Es ist geworden, wie es niemals war. Für mich ist die Endzeit angebrochen. Das Ende war da...



by
Lupus Terre