Mittwoch, 28. Januar 2015

Der Namenlose II ~ Die Odyssee des Verfluchten

"Es ist soweit", ertönt die Stimme des Dämons, ohne dass er dafür auch nur einen Muskel seines grässlichen Gesichts rühren muss.
Wird es nun geschehen? Wird er mich eins werden lassen mit der unsagbar gewaltigen Finsternis? Wird jede Spur meiner Existenz vom Nichts verschlungen?
Doch nichts geschieht. Der Dämon lacht lediglich und starrt mich mit seinen silber-weiß leuchtenden Augen an. Hofft er Furcht in mir zu finden?
Ich ringe mich dazu durch ihm eine Frage zu stellen, obgleich ich mir denke, dass mich nur weitere Rätsel erwarten werden.
"Was ist soweit?", frage ich.
Der Dämon reagiert nicht. Selbst durch die unstete Oberfläche des schwarzen Flusses hindurch zeigt sich sein Antlitz steinern und leblos.
Nach wenigen Augenblicken verstummt allerdings sein Kichern und er selbst gleitet hinab in die Tiefe, bis das Licht der Monde ihn nicht mehr erreicht. Und ich selbst schwebe immer noch wie gelähmt über dem Wasser.
Dies ist ein seltsamer Ort, ich verstehe ihn nicht, ich verstehe nicht, weshalb ich hier bin.
Der Dämon sagt er sei mein Geschöpf, er sagt, er wolle meinen Tod. Doch weshalb? Was geschieht hier bloß?
Plötzlich löst die Kraft, die mich bisher über dem Wasser hielt, ihr Wirken und ich platsche unvorhergesehen in den Fluss hinein. Meinen Atem halte ich an, da ich mich immer noch nicht bewegen kann, und wenigstens versuchen will nicht zu ertrinken.
Ungeachtet der Luft in meiner Lunge, sinke ich durch den Fluss. Das Wasser ist weder kalt, noch warm. Wären die Feuchtigkeit und die geringen Strömungen nicht, so würde ich gar nicht spüren, dass ich mich im Wasser befinde.
Allmählich versiegt mein Vermögen die Luft anzuhalten. Mein unmittelbares Ende scheint bevorzustehen. Ich werde nicht kämpfen. Es wäre sowieso vergeblich. Ich füge mich meinem Schicksal, schließe meine Augen und öffne meine Atemwege.
Die alte Luft streift an meinem Gesicht vorbei, hinauf zur Oberfläche und an ihrer statt strömt das schwarze Wasser in meinen Körper.
Doch obwohl ich die Qual der Suffokation erwarte, geschieht nichts. Ich scheine noch zu leben, ich atme diese obskure Flüssigkeit ein und aus. Als wäre sie Luft, füllt sie meine Lungen. Es verwundert mich, doch in dieser seltsamen Schattenwelt, sollte ich vielleicht aufhören ihre Mechanismen zu hinterfragen.
So sinke ich also weiter. Der Fluss scheint endlos tief zu sein und ich verliere mein Gefühl für die Zeit.
Ich bin versunken in tiefer, trostloser Dunkelheit.
Kein Licht und kein Geräusch, kein Zeichen von Leben. Nur ich, meine Gedanken und das Nichts. Es macht keinen Unterschied, ob ich meine Augen öffne, oder schließe. Mich umgibt ein und die selbe unendliche Finsternis. Auch der Dämon scheint nun fort zu sein und lauert mir nicht mehr mit seinen Stimmen in meinem Geiste auf.
Als ich beginne mich zu fragen, ob ich nun für alle Ewigkeiten durch dieses schwarze Gebräu sinken werde, erkenne ich in weiter Ferne unter mir ein schwaches Licht aufkeimen. Ebenso wie die Monde bei meinem Fall zum Fluss hinab, und ebenso wie der Fluss selbst, stellt dieses Licht einen Spalt in der ewigen Dunkelheit dar. Ein langgezogenes, scheinbar unendlich weit ausgedehntes, gerades Licht aus purem Weiß. Und ich sinke immer weiter darauf zu.
Irgendwann bin ich dem Licht so nahe, dass ich meine Augen schließen muss. Denn Schmerz sticht in das Innere meiner Sehorgane. Doch selbst jetzt noch strahlt es kräftig durch meine Lider hindurch.
Auf einmal spüre ich etwas kaltes, leichtes und trockenes, das sich um die Oberseite meines Körpers wölbt. Das schwarze Wasser fließt aus meiner Nase und stattdessen scheine ich wieder Luft einzuatmen. Doch sie ist kalt. Eisig kalt. Ich öffne wieder meine Augen, sie haben sich mittlerweile ein wenig an die Helligkeit gewöhnen können. Statt der Finsternis, in der ich mich vormals befand, umgibt mich nun pures Licht. Weder einen Himmel, noch Landschaften und auch keine anderen Gestalten kann ich erkennen. Alles um mich herum ist so weiß, wie ein unbeschriebenes, blankes Blatt Papier.
Hat dieser Fluss keinen Grund? Gibt es stattdessen zwei Oberflächen? Die eine schwärzer als die finsterste Nacht, und die andere heller als der hellste Stern.
Noch immer bin ich wie gelähmt und treibe im Wasser. Doch mit großer Mühe schaffe ich es meinen Blick zu meinen Seiten zu wenden. Ich erkenne an beiden Ufern des schwarzen Flusses jeweils eine einzelne Reihe aus seltsamen Blumen, die wie aus Schnee und Eis geformte Rosen aussehen. Jede gleicht der anderen, sie stehen alle identisch mit ihrer Blüte zum Fluss geneigt, wie Laternen an einer Straße.
Ich treibe an ihnen vorbei und muss mir eingestehen, dass mir dieser Ort weitaus lieber wäre, wenn es doch nicht so fürchterlich kalt wäre. Die Kälte durchdringt mich und ich beginne zu zittern. Aufwärmen kann ich mich jedoch nicht. An diesem Ort bin ich gefangen und ich sehe nichts, was ich tun könnte, um das zu ändern. Der Dämon hat mich hierher gebracht. Der Dämon führte mich in diese eisige, tote, aber auf eine eigene seltsame Art und Weise schöne Welt. Der Dämon treibt ein Spiel mit mir, welches ich bisher nicht durchschauen kann.
"Steh auf!", ertönt seine Stimme unverhofft wieder in meinem Kopf und im selben Moment gefriert der Fluss blitzartig unter mir, ohne mich mit einzuschließen und der Zauber, der mich gelähmt hielt, scheint verschwunden.
Ich richte mich auf. Noch immer zittere ich. Der schwarze Fluss ist zu Eise erstarrt und, ebenso wie die Eisrosen, so kalt wie auch die Luft um mich herum.
Diese Landschaft ist karg, tot und leer. Eine weiße Wüste ebenso gefüllt mit Nichts wie das Dunkel, in welchem ich vorher gefangen war. Ich steige über die Eisrosen hinab und stehe auf festem Boden. Meinen Blick lasse ich weiter Ausschau halten. Doch ich erkenne nichts und bin vollkommen orientierungslos. Also gehe ich am mit Eisrosen geschmückten Ufer des gefrorenen Flusses entlang, den einzigen Dingen, die neben mir an diesem Ort existieren.
Es ist kalt. So furchtbar kalt. Ob ich wohl ein Ende des Flusses erreichen werde? Oder werde ich vorher zu Tode erfrieren?
Weiter und weiter schleppe ich mich durch diese trostlose Kälte, stark zitternd und zunehmend an Kraft verlierend
Nach unzähligen Schritten mache ich Halt und kauere mich auf den Boden zusammen. Länger halte ich nicht durch. Was will der Dämon von mir? Warum hat er mich hierher geschickt?
Noch einmal sehe ich mich um, in der Hoffnung etwas in der Tiefe dieses gleißenden Lichts zu finden, welches mir einen Anhaltspunkt liefern könnte. Etwas anderes, als der schwarze gefrorene Fluss, und etwas anderes als die Eisrosen, wenngleich ich jene unter anderen Umständen besser zu schätzen wüsste.
Wie eine Antwort auf meine zunehmende Verzweiflung, wird meine Hoffnung erfüllt. Zu meiner Rechten kann ich in einiger Entfernung etwas mitten im Nichts stehen sehen.
Mit den mir verbleibenden Kräften zwinge ich mich dort hin. Und je näher ich komme, desto mehr erkenne ich. Irgendwann wird mir bewusst, dass das, was ich dort sehe, ein Stuhl ist. Ein gewöhnlicher, hölzerner, hellbrauner Stuhl, der ohne erkennbaren Grund einfach in dieser weißen Wüste steht.
Plötzlich erklingen markerschütternde Schreie aus dem Nichts und ich zucke vor Schreck zusammen. Die Kakofonie aus gequältem Gekreische scheint die gesamte Umgebung zu erfüllen. Es ist so unsagbar laut, dass ich mir meine Ohren zuhalten muss.
Woher kommen diese Schreie bloß? Weshalb schreien diese Stimmen so gequält?
Das Geschrei wird immer lauter und lauter, meine Ohren schmerzen, mein Körper bebt, ich breche unter dem Druck dieses Lärms zusammen und winde mich auf dem Boden. Dieser Schmerz, dieses furchtbare, grauenhafte Geschrei!
Zu einem Zeitpunkt, bei dem ich nicht unweit des Stuhles mich vor Schmerz rankend mit meinem Rücken auf dem Boden liege, fährt mein Blick nach Oben und was ich dort auf mich zukommen sehe, raubt mir den Verstand.
Köpfe.
Tausende abgeschlagene Köpfe fallen so langsam, als würde jemand, oder etwas ihrem Fall entgegenwirken, dem Boden entgegen. Der gesamte Himmel, sofern man diese Richtung den Himmel nennen kann, ist übersäht mit menschlichen Köpfen, die herunter regnen.
Jene Köpfe sind alle mit ihrer Schädeldecke gen Boden gerichtet, am Ende ihres abgetrennten Halses ziehen sie lang gezogene, zähflüssige Seile aus Blut hinter sich her, die bis in die unkenntliche Unendlichkeit des Himmels reichen.
Es regnet Köpfe und mit ihren blutigen Striemen bemalen sie diese blanke, weiße Welt, als würde man mit roten Stiften ein groteskes Bild auf eine ungefüllte Leinwand zeichnen.
Je näher mir die fallenden Schädel kommen, desto mehr erkenne ich. Ihre Gesichter sind schmerzverzerrt, die Münder weit und schreiend aufgerissen.
Furcht fließt durch meine Venen, eine Gänsehaut überdeckt mich, nicht vor Kälte, sondern vor purer Angst. Dies ist reiner Wahnsinn! Horror! Die Hölle!
Anders als bei der Monotonie der Monde, des Flusses und der Eisrosen, die mir bisher begegneten, ist jedes einzelne Haupt von den anderen verschieden. Unterschiedliche Frisuren, unterschiedliche Gesichtszüge, Männer, Frauen, ja sogar Kindsgesichter vermag ich zu erkennen. Doch keines davon kommt mir bekannt vor. Jedes einzelne Gesicht ist das Zeugnis großer Qual, einige sind verunstaltet, manchen fehlen die Augen, andere wurden auf eine bestialische Art und Weise zugerichtet, wie es mich nicht mal in meinen schlimmsten Alpträumen heimgesucht hatte.
Zerfetzte Haut, herausgerissene Kiefer, entstellt und gequält. Wieso? Was ist ihnen geschehen? Warum sehe ich sie? Weshalb bin ich zu diesem Grauen verdammt? Was habe ich verbrochen, um so verflucht zu sein?
Und dieses Geschrei! Dieses schmerzerfüllte Wimmern und Schreien, welches sich zu einer satanischen Symphonie überlagert, aber unerträglich für jeden gesunden Menschen ist.
Sie kommen immer näher, ich kann mich nicht mehr zusammenreißen und obliege meiner Furcht und meiner Pein. Auch ich muss nun schreien. Ich schreie wie jeder andere dieser regnenden Köpfe, mein Herz rast, mein Schmerz lässt sich längst nicht mehr in Worte fassen. Meine Gedanken werden trüb, ich wünsche mir nur noch dieser weißen Hölle zu entfliehen. Ich will fort, ich will dies nicht ertragen!
Gleich erreichen sie den Boden, ich stehe auf und versuche ihnen auszuweichen. Nach und nach schlagen sie auf dem Boden auf und starren mich an. Sie starren mich alle an! Wieso ist ihr Blick auf mich gerichtet? Und weiter schreien sie! Und nun färbt ihr Blut auch den ehemals weißen Boden rot. Ihre Münder sind weiterhin aufgerissen und weiter schreien sie. Sie schreien und schreien und schreien und ich schreie mit ihnen.
Nach und nach sammeln sich die Häupter auf dem Boden, nach und nach verwandelt sich diese einst kalte, tote, weiße Welt in eine blutrote Hölle.
Voller Panik weiß ich nicht mehr, wo ich meine Füße hinbewege. Ungewollt trete ich ausgerechnet auf eines der kindlichen Gesichter. Ein armes kleines Mädchen mit lockerem, blondem Haar, vielleicht nicht älter als vier. Ich rutsche aus und falle nach hinten. Ihre Zähne brechen heraus, ihr unschuldiger Schädel rollt ein kleines Stück über den Boden, bis er von einem der anderen gestoppt wird. Und ich falle mit meinem verfluchten Hinterteil direkt auf dem hölzernen Stuhl. Ob dies eine Perversion von Glück ist, oder aber das Geschick des schwarzen Dämons mein Schicksal lenkt, weiß ich nicht.
Ich kann kaum noch atmen. Zu sehr würgt diese Szenerie des Grauens das Leben aus mir heraus. Auf dem Boden häufen sich die Köpfe. Ich weiß nicht, wo ich hin könnte. Es gibt kein Entrinnen. Sie regenen überall herab. Und alle richten ihre Augen, sofern sie denn welche haben, auf mich. Befangen von Furcht und zerschmettert im Angesicht dieses nicht enden wollenden Horrors bleibe ich wie gefesselt auf dem Stuhl sitzen und bettle innerlich so sehr, wie ich noch nie gebettelt hatte, dass dieses Grauen doch endlich aufhören möge. Tränen fließen mir über das Gesicht. Ich kann das nicht ertragen! Ich kann es nicht!
Der Kopf einer jungen schwarzhaarigen Frau landet auf meinem Schoß. Stark zitternd hebe ich ihn hoch, wage es aber nicht, ihn hinfort zu werfen. Deutlich höre ich durch dieses grauenhafte Getöse hinweg ihre Stimme. Auch sie schreit, wenngleich es dumpfer, als bei den anderen klingt. Ich drehe ihr Haupt, sodass ich ihr in das Gesicht sehen kann. Und als wäre dieser Horror bisher nicht genug, erfasst mich erneut ein gewaltiger Schock, alsbald ich sehe, dass ihre Augen, und ihr Mund grob mit einer Art Stacheldraht zugenäht worden sind. Es verschlägt mir jeden Laut, mein Herz bleibt stehen. Mein Gehirn schaltet sich ab.
Abrupt vertönt unerklärlicherweise jegliches Geschrei und es wird vollkommen Schwarz um mich herum.
Ich sitze im Dunkeln, wissend, ein Meer aus Köpfen vor meinen Füßen zu haben, und mit dem Schädel einer gequälten jungen Frau in meinen Händen.



by
Lupus Terre


Sonntag, 25. Januar 2015

Der Namenlose I ~ Der Dämon und sein Meister


Ich blicke in den Spiegel und blicke einem Dämon entgegen. Fies seine silbern weißen Zähne fletschend, es gleicht einem Lächeln, starrt er mir mit ebenso silbern weißen Augen entgegen. Einen Kopf kann ich nicht erkennen. Nur schemenhaft vermag ich einige Konturen seines Schädels wahrzunehmen, der Rest verschmilzt mit jener verfluchten Dunkelheit, wie jene Seele schwarz und verflucht ist.
Das Licht geht aus.
Und dennoch strahlen seine Augen und seine Zähne durch die Dunkelheit hindurch, fast als wäre dieser Dämon ein Drache, dessen Feuer weißes Strahlen ist.
Die Grenze zwischen den Spiegelwelten verschwimmt. Ich stehe ihm gegenüber. In seine ausdruckslosen Augen starrend, spüre ich, wie sein eisiger Atem meiner Haut entgegenströmt.
Ich erzittere nicht vor Angst. Standhaft stur und ausdruckslos blicke ich ihm weiter entgegen, so stur wie sein unablässiges hämisches Grinsen. Speichel fließt zäh über seine spitzen Zähne. Ist er hungrig? Ich verstehe nicht, was er von mir will, was er bei mir sucht, weshalb er sich hinter das Glas meines Spiegels geschlichen hatte.
Plötzlich höre ich, wie er langsam leise lacht. Doch seine Miene verzieht sich dabei nicht. Sein Bildnis ist starr und leblos wie eine Maske.
Lange lacht er nicht, doch ertönt eine Stimme, die von ihm zu kommen scheint, in meinem Geist, sie sagt:
"Ich bin du."
Dann lacht er wieder, als würde es ihn amüsieren mich rätselnd um seine Präsenz zu wissen.
Ich beschließe mein Schweigen zu brechen und lasse eine der Fragen, die in meinem inneren toben, nach außen ertönen: 
"Wieso?"
Er ist still, scheint sich seine Worte zu überlegen und flüstert danach wieder in meinem Geist:
"Du hast mich geschaffen."
Die Dunkelheit benebelt meinen Verstand, seine Worte ergeben keinen Sinn für mich. So versuche ich mich auf das Wesentliche zu konzentrieren und frage ihn:
"Was willst du?"
Mit einem Lidschlag legt sich eine Lautlosigkeit um mich, wie ich sie vorher noch nie wahrgenommen hatte, und seine schwarzen Lippen ziehen sich über seine bedrohlichen Zähne hinweg. Ich spüre seinen Atem nicht mehr, sein Grinsen scheint vergangen zu sein und stattdessen tränkt ein stählerner, von kühler Präzision geschmiedeter Blick seine Augen.
Er scheint mir tief in mein Innerstes sehen zu wollen und ebenso zielen seine Worte in das Zentrum meines Geistes: 
"Deinen Tod."
Plötzlich zerbricht sein Antlitz, als würde der Spiegel, durch den ich ihn ursprünglich erblickte, in tausende Teile zerfallen. Doch ich höre kein splitterndes Glas, sondern das tiefe, brummende Donnern und Knistern einer Armada aus Blitzen. Kaum ein Atemzug vergeht, ehe Schmerz, milliarden Peitschenhieben und Schwertstichen gleich, sich durch meine fleischliche Hülle hindurch bohrt und mein gesamtes Bewusstsein straft.
Der Halt unter meinen Füßen schwindet, ich breche zusammen, ich falle.
Der Boden, die Wände, meine gesamte Umwelt löst sich auf, wie ein Traum, an den man sich nur mit größter Anstrengung erinnern kann, und zerschmilzt rasant, sodass nichts weiter bleibt als pure Dunkelheit. Selbst das Gesicht des Dämons entreißt sich meiner Wahrnehmung.
Und ich falle.
Ich falle tief, endlos durch die Dunkelheit.
Orientierungslos frage ich mich, ob ich ewig fallen würde, oder ob diese Finsternis ein Zentrum hat, auf welches ich ungebremst zusteuere, ehe mich ein gnadenloses Ende erwarten würde.
Ich winde mich wie von Sinnen, versuche Halt zu finden und mich irgendwo festzukrallen. Doch ich greife in die Leere, egal wo ich hinsehe herrscht das Nichts und Chaos zeichnet mein Gesicht.
Eine Weile vergeht, ehe ich schwach in weiter Ferne unter mir eine langezogene Linie etwas Licht erkennen kann. Mit jedem Moment meines Falls wird es größer und größer.
Das Licht beginnt Gestalt anzunehmen. Es sind rundliche Körper, etwas deformiert, und leuchten nicht in einer einzigen Farbe. Verschiedene Grau- und Silbertöne vermag ich an ihnen zu erkennen. Jeder dieser Körper gleicht dem anderen. Sie sind ordentlich und in regelmäßigen Abständen innerhalb einer geraden Linie aneinandergekettet.
Irgendwann wird mir bewusst: es ist der irdische Mond, schier endlose Male geklont.
Die Sorge, auf einem dieser Monde aufzuprallen, kommt in mir auf, doch ob es Glück, oder Bestimmung ist, dass ich in Wahrheit zwischen ihnen vorbei weiter in die Tiefe der Finsternis hinabfalle, weiß ich nicht.
Ich versuche mich danach umzudrehen, um wenigstens etwas anderes als Schwärze bei meinem Fall mit meinen Augen fesseln zu können, doch ich kann mich nicht mehr bewegen und Falle weiter hinab, bis ich das Licht kaum noch in meiner Nähe weiß.
Und nun, nun höre ich das leise plätschern von Wasser. Mit Mühe und dank der leuchtenden Monde erkenne ich leichte, wandernde Reflektionen einer geschwärzten wässrigen und langgezogenen Oberfläche. Es scheint ein Fluss zu sein, der sich ebenso wie die Monde über ihm, in einer geraden Linie durch die unendliche Dunkelheit zieht.
Ungebremst falle ich auf ihn zu, versuche bereits meinen Atem in meinen Lungen zu fangen, sodass ich nicht darin ertrinken möge, doch kurz vor meinem unmittelbaren Aufprall mit diesem schwarzen Fluss, stoppt mein Fall plötzlich ohne erkennbaren Grund, als würden keine physikalischen Gesetze in dieser Schattenwelt gelten, spüre ich ebenso keine Trägheit und schwebe nun mit meinem Blick nach unten über dem Wasser.
Immer noch bin ich nicht im Stande mich nur im Geringsten zu bewegen, sodass mir nichts übrig bleibt, als meine Augen im schwarzen Wasser zu versenken.
Nach wenigen Sekunden, ich will es kaum wahrhaben, zeichnet sich eine Gestalt unter die unstete Oberfläche.
Es ist das Gesicht des Dämons, es sind seine toten silber weißen Augen, die mir wieder tief in mein Bewusstsein blicken, es ist sein hämisches Grinsen, welches seine tödlichen silber weißen Zähne mir zeigen, und sein leises lachen, welches meinen Hörsinn flutet und sein bedrohliches Flüstern, das mir sagt:
"Es ist soweit."



by
Lupus Terre