Sonntag, 31. März 2013

Leere Hüllen

Es ist tiefe Nacht. Alles um dich herum liegt in Schatten. Keine Beweung, kein Atem, kein Leben. Alles schläft. Hält sich in einer Welt auf, die der diesen weit entfernt ist.
Salzwasser tropft auf den Boden.
Es ist eine dieser Nächte.
Eine dieser Nächte, in denen du nicht schlafen kannst. In denen du stundenlang wachliegst, Gedanken in dir strömen, wie zu keinem anderen Zeitpunkt des Tages.
Vor allem Gedanken an die Vergangenheit, welche du auf deine Gegenwart zu prägen versuchst doch nichts anderes erschaffst als leere Hüllen.

Leere Hüllen mit Gesichtern der Vergangenheit. Vergangenen Weggefährten, aber auch Zeugen vertaner Chancen. Sodass nichts dir bleibt außer der bitter salzige Geschmack deiner Tränen auf deiner trockenen Zunge.
In jeder dieser Nächte, welche dich heimsuchen wie eine chronische Krankheit und dich so quälen, als würden sie irgendeinem sadistischen Beobachter größte Freude bereiten, fragst du dich, warum du überhaupt noch weinen kannst, während du deinen heißen Atem, welcher der Versuch eines unterdrückten Schreis ist, im Kissen erstickst.
In jeder dieser Nächte hast du das Gefühl, dass sich dein Innerstes so sehr vor dem Schmerz, den du empfindest, verkrampft, dass es glatt dein Herz zerquetschen würde, gefolgt von deinen Lungen.
In jeder dieser Nächte versinkst du in den Schatten der Nacht, verkriechst dich in einer Ecke deines Zimmers, in der Hoffnung du könntest dich auf diese Weise von der Einsamkeit erretten, welche du seit jenen Ereignissen jeden Tag durchlebst.
Zu keinem anderen Zeitpunkt als in jenem, als in jenen Nächten, fühlst du dich dermaßen einsam und von der Welt verlassen. Du denkst, dass niemand dich versteht, dass niemand deinen Schmerz nachempfinden kann, dass es niemanden gibt, der mit dir jeden dieser Momente durchhält.
Dann versuchst du dich dadurch zu beruhigen, dass du an sich doch gar nicht einsam bist, dass du doch gute Freunde und Familienmitglieder hast, die in deiner Nähe sind, die jederzeit für dich da wären, würdest du ihnen etwas sagen. Aber dann merkst du, dass auch sie nur leere Hüllen sind.
Die "neuen", oder auch alten, besten Freunde, die du dir ernannt hast, mögen vielleicht gute Menschen sein und für dich da sein, aber auch sie sind nur leere Hüllen. Denn selbst, wenn sie den selben Schmerz empfinden können, wie du, werden sie dich eher behandeln wie einen kranken Patienten, ein krankes Kind, das flott geheilt werden muss. Sie werden froh sein, wenn sie es hinter sich gebracht haben, aber du weißt, dass es nur ein temporärer Effekt ist. Und irgendwann, nach schier zahllosen Gesprächen mit deinen Freunden, wirst du merken, dass einige denken, dass du es übertreiben würdest, und hoffen auf den Tag, an dem das alles vorbei ist, damit ihr euer gemeinsames Leben glücklicher leben könnt, als es bisher aufgrund der Trübung möglich ist.
Du weißt es, weil du es dir selbst nicht selten wünschst.
Du wünschst dir so sehr, endlich alles hinter dir lassen zu können und seelenruhig weiterleben zu können, dass du dich förmlich in eine neue Gegenwart zwingst, in der du seelenruhig weiterlebst.
Aber in Nächten wie diesen, merkst du, dass dies bloß behelfsmäßige morbide Strukturen sind, die nur vom eigentlichen Problem ablenken, auch wenn sie temporär dazu führen mögen dir ein besseres Befinden zu ermöglichen.
Du merkst, dass es leere Hüllen sind. Du hast dir Inhalt auf sie eingebildet, doch diesen erkennst du als nichtig an, wenn du die große unendliche Einsamkeit deines einzigartigen Schmerzes spürst.
Jede Veränderung in deinem Leben, schafft es nicht die Vergangenheit zu verwischen. Alles, was du tust, was du dir an neuen Dingen beschaffst, oder was du veränderst, sind nur Zeugnisse des verzweifelten Versuches ein schwaches Konstrukt aufrecht zu erhalten, das seit jenen Ereignissen dazu verdammt war einzustürzen.
Aber dir will nicht einfallen, was du noch tun könntest.
Du wirst in diese Welt geboren, mit nichts in den Händen, und versuchst dir etwas großartiges aufzubauen, worin du deinen Geist unterbringen kannst. Dort willst du sicher sein. Dort willst du furchtlos sein. Dort willst du selbstbewusst sein. Dort willst du wohl behütet und umsorgt sein. Dort willst du dir das Paradies schaffen, das aufgrund des Leidens dieser Welt zwingend notwendig zu sein scheint.
Doch, wenn du an deiner eigenen Haut anfängst zu spüren, wie viel von deinen bedürftigen Versuchen, jenes Konstrukt zu verwirklichen, zerfällt, fragst du dich, ob es vielleicht doch nicht geschehen soll.
Jenen Ort, den du dir zu erbauen versucht, willst du mit Inhalt füllen.
Und du weißt, dass alles zerfallen wird.
Und wenn du geboren wirst, weißt du, dass du sterben musst.
Und du weißt, dass nur leere Hüllen dich umgeben.
Folglich ist auch dieser Ort nur eine Hülle, ohne Inhalt.
In diesen Nächten wird dir das besonders deutlich und vergrößert dein Leid.

Aus dieser elendigen Einsamkeit heraus gierst du nach jemandem, der wirklich alles mit dir teilen kann. Du gierst nach jemandem, der mit dir weinen kann, mit dir lachen kann, mit dir denken kann, mit dir lieben und leben kann. 
Unabhängig davon, ob du diesen jemand findest, oder nicht, hoffst du:
Irgendwo auf dieser Welt, wird immer jemand um dich weinen können.
Egal welche Entscheidungen du treffen magst, es wird immer jemanden geben, die, oder der, mit dir fühlt und mit dir verbunden ist und dich in absolut jeder Einzelheit vollstens verstehen kann.

Aber das reicht dir nicht. Denn die Hoffnung, dass diese hypothetische Person existiert, schafft es nicht, die leeren Hüllen um dich herum, die du in diesen kalten bitteren Nächten besonders deutlich als Einsamkeit wahrnimmst, mit dem Inhalt zu füllen, den du in diese Hüllen andauernd zu füllen versuchst, um dir deinen Schmerz zu lindern und dir die Einsamkeit zu nehmen. Und vielleicht ist diese Person auch bloß eine weitere von dir idealisierte leere Hülle, von der du dir die größte Erlösung erhoffst. Denn so viele Dinge hast du dir schon konstruiert, um dir alles leichter zu machen. Und nichts scheint zu helfen, nicht einmal die Zeit.

So weinst du weiter bittere Tränen auf den Boden, erstickst deine Schreie im Kissen, verfluchst die Schatten deiner Vergangenheit, und klammerst dich an leeren Hüllen fest.


by
Lupus Terre
(DLNT)



4 Kommentare:

  1. Wunderschön verfasst. Könntest du mir bitte was von deinem Schreibtalent abgeben?

    Ich freue mich schon mehr von dir zu lesen.

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    1. Dankesehr!

      Kann ich leider nicht. Aber es heißt: Übung macht den Meister. Du könntest ja anfangen selber Texte u.Ä. zu verfassen. Lass deiner Fantasie einfach freien Lauf. Mit der Zeit wirst du dann auch selbst Werke verfassen können, die dir selbst und anderen gefallen.

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  2. Hast du eine diagnostizierte Depression oder irgendetwas in dieser Art? (Ich frage aus reinem Interesse!) Deine Texte wirken so melancholisch, dass ich da mal gerne mehr wissen würde, sofern es dir nichts ausmacht.
    Bin echt begeistert von deinen Texten! Finde mich in vielen Sätzen auch wieder. Kommst nichtsdestotrotz echt sympathisch rüber!
    Viele Grüße :)

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    1. Danke für das Kompliment!
      Ich antworte auf die Frage mal ausführlicher:

      Obwohl mir oft Depressionen vorgehalten wurden und werden, ist dem nicht so. Depression ist eine psychologisch schwerwiegende Krankheit und die, die darunter leiden, sind nicht wirklich in der Lage sich aus eigenen Stücken wieder aufzuraffen und dagegen anzukämpfen. Sie sind auf Hilfe und Unterstützung angewiesen.
      Also nein, ich habe keine Depressionen.

      Es wäre aber auch gelogen, wenn ich behaupten würde, dass es keine Eigenschaften an meiner Persönlichkeit gab/gibt, die durchaus depressive Züge hatten/haben. So ist dieser Blog das beste Beispiel dafür, denn hier findet man u.A. Werke, wo ich mich z.B. auch mit dem Thema Suizid intensiv auseinander setze.

      Das, was mich neben diversen anderen Dingen, jedoch am meisten von jemanden mit Depressionen unterscheidet ist folgendes:
      Einerseits bin ich sehr wohl in der Lage selbstständig mit emotionalen Tiefständen klar zu kommen, und andererseits genieße ich solche Momente meistens sogar. Sie sind für mich eine Quelle der Inspiration. Das Gefühl dieser tiefen Traurigkeit wirkt so dermaßen anmutig und ästhetisch auf mich, dass mir nichts anderes übrig bleibt, als es zu genießen und meine Erlebnisse in Form von schriftstellerischen (oder auch musikalischen) Werken festzuhalten und zu verarbeiten.
      Deswegen vertrete ich auch den Standpunkt, dass diese Traurigkeit, diese Tristesse, keine Depressionen sind, also keine psychische Krankheit, sondern ein Gefühl der Melancholie und Schwermut, welche ich durchaus zu genießen & zu schätzen weiß (aber auch nicht immer).
      Auch wenn es vielleicht auf den ersten Blick paradox klingen mag, wenn ich somit prinzipiell sage, dass ich glücklich bin, indem ich unglücklich bin.

      Wie angedeutet, ist das aber auch nicht immer der Fall, da es leider durchaus Momente gibt, wo mir der damit verbundene Schmerz nicht gut tut, und wo ich ihn nicht haben möchte. Dennoch bin ich in der Lage damit umzugehen.

      Das wirkt sich selbstverständlich auch auf meine Persönlichkeit aus, weswegen ich durchaus auch als Melancholiker zu bezeichnen wäre. Denn wären die Melancholie und die Schwermut nicht gewesen, hätten sich einige fundamentale "Einsichten" (wenn man es so nennen will) in diese Welt bei mir nie ergeben. Besonders diese Momente regen mich oft zu einem sehr tief gehenden Nachdenken über diverseste Themen an.

      Im Alltag bemerken aber nicht viele meine melancholische Seite, da ich eine recht vielschichte Persönlichkeit bin, welche eben auch anders sein kann ;-) .


      Grüße,

      Lupus Terre


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