„Es regnet“, sagte sie.
„Ich weiß“, sagte er.
„Warum öffnest du nicht deinen
Regenschirm?“, fragte sie.
„Es regnet nicht stark genug.“,
antwortete er.
Was ist starker Regen?,
fragte sie sich in Gedanken. Denn es regnete stark genug, dass sie
vollkommen durchnässt war.
Dicke lang gezogene
Tropfen rasten hinunter auf den Boden, wo sie zerschellten. Der
Himmel war Grau bewölkt, das Licht sehr gedämmt. Es war nicht Hell
und nicht Dunkel. Weder Tag, noch Nacht. Ein Zwielicht war es, dass
die Umgebung in ein halbdunkles halbhelles Licht tauchte. Grau war
der Asphalt unter ihren Füßen. Grau die Straßen für Fußgänger.
Grau die Fassaden der Gebäude. So grau und monoton wie die Wolken im
Himmel, welche kalten nassen Regen weinten. Ein Kontrast waren die
Bäume und Wiesen, die Blumen und Blüten, welche stellenweise aus
dem Grau hervorstachen. Doch auch sie in ein Halbdunkel Halbhell
getaucht. Auch sie eingegraut.
„Was ist starker
Regen?“, fragte sie.
„Meine Kleidung
ist durchnässt. Meine Haare sind durchnässt. Was ist für dich
starker Regen? Warum öffnest du nicht deinen Schirm?“, sagte sie.
„Weil ich es
nicht will.“, antwortete er.
„Weil der Regen
das Einzige ist.“, sagte er.
„Das Einzige?“,
fragte sie und er antwortete: „Das Einzige, das mich wäscht, mich
von meiner Qual befreien vermag.“
„Wie?“, fragte
sie und er antwortete: „Der kalte Regen kühlt mein Gemüt. Der
kalte Regen löscht mein Feuer. Der kalte Regen reinigt mein Sein.“
„Aber ich will
nicht nass sein. Gib mir deinen Schirm!“, sagte sie.
„Nein!“,
brüllte er.
Verängstigt
reagierte sie: „Wieso?“
„Du bist meine
Qual.“, gab er kühl zurück und begann zu reden:
„Über diese
Monotonie dieser jämmerlichen Existenz kannst nur du hinwegtäuschen.
Du gibst mir ein Gefühl, gar wunderbar ist es, und es hebt mich hoch
hinaus in die Lüfte, zur Sonne nahe, welche mich wärmt und mich
belebt. Doch es ist nur eine List, nur eine schlechte Farce, ein
impertinentes Spiel des wahren Lebens. Denn diese Illusion, in der du
mich wiegst, dieses Gefühl, mit dem du mich zu betrügen wagst,
reißt mir die Haut vom Leibe, damit die Säuren der Realität mich
verätzen können. Nicht du sollst auch noch wagen mich anzugreifen.
Denn wenn ich zu deinem ästhetischem Anblick aufsehe und mich von
deiner Güte verführen lasse, schleichen sich Schatten in meinen
Geiste. Ungetüme, die mir aufzeigen, dass in dieser verdorbenen
Welt, in diesem morbiden Konstrukt menschlicher Naivität,
menschlicher Abgründe, menschlicher Ungeheuerlichkeit, nichts einen
Wert hat. Und damit hacken sie auf der Ader meines Herzens herum, nur
um mich besser quälen zu können. Du gehörst zum Teil dieses Plans.
Ich weiß, dass nichts auf dieser Welt eine Rettung zustande kommen
lassen vermag. Ich weiß, dass nichts auf dieser Welt noch
erstrebenswerten Lebensinhalt hat. Ich weiß, dass nicht du eine
Änderung bezwecken wirst, sondern nur noch mehr Leid. Auch wenn ich
im Nu dahinvegetiere, bis ich verderbe und verrotte, so will ich mich
doch wenigstens dagegen wehren. Gegen dich.“
Er wandte sich ihr
zu und erhob seinen Schirm. Dann schlug er zu. Er schlug zu. Er
schlug erneut zu. Mit Wucht traf er sie am Kopf, am Hals. Sie fiel zu
Boden und schrie auf. Ihre Stimme, welche rein und süß klang, wie
lasterloses Harfenspiel, wurde gebrochen, klirrte in den Raum.
Er erhob sich über
ihr und hielt seinen Schirm, mit der stählernen Spitze nach unten
gerichtet über ihr und sagte: „Ich befreie mich!“
Sie wusste nicht,
ob es Regen war, oder echte Tränen, die sie in seinem verbittertem
Gesicht zu sehen glaubte. Doch sie wusste, was auch immer er tat, sie
würde ihn immer lieben. So schloss sie ihre kristallklaren blauen
Augen und ließ los.
Er stach mit Wucht
in ihr Herz hinein und durchbohrte es.
Sie schrie nicht
mehr. Sie schrie nie wieder.
„Dein Blut.“,
sagte er und redete weiter: „Dein tiefes rotes Blut wird mein Heil
sein. Auch wenn ich in dieser Sekunde dein warmes Gesicht noch
verschlingen möchte, und mir dich schon jetzt sehnlich
zurückwünsche, so darf ich mich nie mehr von deinem rotem Haar und
deinen roten Lippen, die den Duft und die Farbe eines reifen,
frischen, prall gewachsenen Apfels tragen, verführen lassen. Auch
wenn dieser Glanz, das einzige sein mag, welches dieses Grau
durchbricht, diese Düsternis lichten könne. Das Einzige, das so
stark wie die Sonne erstrahlt.“
Es wurde Dunkel.
Das Zwielicht ward zum Dunkel verkommen und er verschmolz mit dieser.
Nur ihr Blut leuchtete noch auf. Aber er hatte sie vernichtet, er
konnte nicht anders. Er war ihr Gegenwesen. Sein Schmerz wurde
Dunkelheit. Dunkelheit war sein Schmerz. Er ist letztlich die
Dunkelheit geworden, denn sein Licht verstarb.
Es hörte auf zu
Regnen.
by Lupus Terre (DLNT)
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