Donnerstag, 31. Mai 2012

Laudatio ad Eduard

Dies ist die Rede, die ich anlässlich der Bestattung meines besten Freundes Eduard verfasst hatte. Mir wurde zugesprochen, dass sie gelungen sei, auch wenn ich der Ansicht bin, dass diese Worte bei Weitem nicht genug sein werden... Die Bestattung war am 23.05.2012... 7 Tage nach seinem Tod...

 
An Tagen wie diesen, an denen uns der schmerzliche Verlust eines geliebten Menschen widerfährt, werden wir uns vielerlei Dinge bewusst. Wir werden uns bewusst, wie wertvoll ein einziges Leben sein kann. Wir werden uns bewusst, wie viel Freude, aber auch wie viel Leid so ein Leben mit sich bringen kann. Und wir werden uns bewusst, dass wir jede einzelne Sekunde eines solchen Lebens miterleben möchten.
An Tagen wie diesen, an denen wir als Freunde und Verwandte in Frieden zusammenkommen, um gemeinsam von diesem geliebtem Menschen Abschied zu nehmen, treten diverse Dinge zum Vorschein. Dinge, welche sich als starke Bänder der Freundschaft und der Liebe offenbaren. Es treten Dinge zum Vorschein, die davon zeugen, was dieser geliebte Mensch in uns hinterlassen hat. Und es treten Dinge zum Vorschein, die unwiderlegbar davon zeugen, wie groß das Loch ist, das dieser Verlust in unsere Herzen gerissen hat.
An Tagen wie diesen, fällt es schwer zu begreifen, was geschehen ist, und warum.
An Tagen wie diesen, fällt es schwer zu akzeptieren, und loszulassen.
An Tagen wie diesen, fällt es schwer Worte zu finden, die diesen Verlust beschreiben könnten.
Es gibt keine Worte, die den Verlust unseres geliebten Freundes Eduard auch nur im Geringsten angemessen beschreiben könnten.
Zu groß ist der Schmerz, der sich durch unsere Knochen bohrt.
Zu groß ist die Trauer, die unseren Geist erfüllt.
Zu groß ist der Wunsch, die Zeit zurückzudrehen, nur um noch ein mal sein Lächeln sehen zu können.

Aber Eduard hätte nicht gewollt, dass wir so sehr um ihn trauern. Auch wenn er gewusst hat, dass viel Leid entstehen würde, sollte er eines Tages nicht mehr unter uns weilen, hätte er nicht gewollt, dass wir weinen und hätte nicht gewollt, dass wir so sehr leiden. Denn genauso sehr wie jeder Einzelne von uns ihn geliebt hat, so sehr hat er auch uns geliebt.

Für jeden von uns war Eduard ein anderer. Für jeden von uns hatte Eduard eine andere Bedeutung. Aber für jeden von uns war Eduard ein Mensch, den man nicht verlieren wollte.
Für mich war Eduard nicht bloß ein Mitschüler und nicht bloß ein Freund. Nein, für mich war Eduard viel mehr als das. Er ist der beste Freund gewesen, den ich je hatte. Er war für mich wie ein Bruder und ist somit einer der wichtigsten Menschen in meinem Leben gewesen.

Ich erinnere mich noch gut daran, wie ich ihn damals kennengelernt habe. Es war der zweite Schultag in der Stufe 11. Es war mein zweiter Schultag in der für mich neuen Schule. Wir saßen in unserer ersten gemeinsamen Chemiestunde nebeneinander. Er ist mir gleich aufgefallen, also hatte ich ihn angesprochen und so lernten wir uns kennen. Es war ein außerordentlich großes Glück für mich, in einer großen unbekannten Stadt gleich einen so guten Freund zu finden. Deswegen erinnere ich mich gerne an diesen Tag. Aber mit großem Schmerz muss ich nun akzeptieren, dass nur die Erinnerung das ist, was mir bleibt, was uns allen von ihm bleibt. Und deswegen sollten wir jede Erinnerung, die wir von ihm haben, festhalten und aufbewahren, damit wir ihn nie vergessen.
Es mag sein, dass ich ihn gerade mal seit drei Jahren gekannt habe, und das im Verhältnis wenig zu erscheinen mag. Doch für mich war es wie eine Ewigkeit. Eduard ist der Mensch gewesen, dem ich so sehr vertraut habe wie keinem anderen auf der gesamten Welt. Er war mein Seelenverwandter, mein Kamerad in jeder Lebenslage, mein Weggefährte, mein Bruder.

Eine seiner guten Eigenschaften war die, dass er immer für seine Freunde da war, wenn es ihnen nicht gut ging. Selbst dann, als es ihm selber nicht besser erging. Eduard war selbstlos und stets hilfsbereit. Man konnte sicher sein, dass man immer auf ihn zählen konnte, egal welche Hürde sich im Leben offenbaren würde. Man konnte mit ihm lachen und man konnte mit ihm weinen. Aber man konnte auch einfach nur da sitzen, schweigen, und wissen, dass man aufeinander bauen kann. Er hatte sein Herz am richtigen Ort und war einer der besten Menschen, die ich kenne.
Aufgrund dessen ist dies nicht nur ein enorm großer und schwer zu verkraftender Verlust für die, die ihn kannten, sondern auch für die gesamte Menschheit. Denn seien wir ehrlich: Diese Welt braucht mehr Menschen, die so aufrichtig und gutherzig sind, wie er es gewesen ist.
Die erschütternde Tatsache, dass Eduard nicht mehr Teil des Diesseits ist, macht es nur noch umso schwerer.

Aber er hätte nicht gewollt, dass wir solchen Kummer wegen ihm haben. Also lasst uns auch das als Anlass nehmen, um unser Leben auf eine Art und Weise zu führen, die seinem Andenken gerecht wird und ihn ehrt. Lasst uns versuchen auch in unserem Leben all jene guten Dinge durchzusetzen, die er tagtäglich praktiziert hatte. Auf diese Weise wird er stets in uns präsent sein und unser Leben durchdringen, sodass wir ihn nicht so sehr vermissen müssen, weil er dann allgegenwärtig in uns sein wird.

Eduard ist 18 Jahre alt gewesen, als er uns verlassen hat. Er stand grade mal am Anfang seines Lebens und hatte noch große Pläne. Er wollte Quantenphysiker werden und vielleicht eines Tages Albert Einstein widerlegen. Doch es ist eine tragische Wendung des Schicksals, dass dies wohl nicht mehr geschehen wird.
Für Mitschüler, sowie Lehrer war er das mathematische und naturwissenschaftliche Genie, das stets Noten im oberen Bereich mühelos erreichen konnte. Für seine Freunde und Verwandten war er ein wunderbarer Mensch mit unschätzbarem Wert. Und auch wenn es – wie in jeder Familie – nicht immer rund lief, war er auch ein Sohn, der im Grunde immer seine Mutter geliebt hatte.

An Tagen wie diesen, fragt man sich, was man tun soll. Man will es nicht wahrhaben und hofft, es sei nur ein böser Traum, aus dem man gleich erwacht.
An Tagen wie diesen, fragt man sich, was noch hätte werden können. Wie sein Leben hätte werden können, wie sich die Welt mit ihm zusammen entwickelt hätte.
An Tagen wie diesen, fragt man sich, was wäre wenn. Was wäre gewesen, wenn man etwas anders gemacht hätte, vielleicht hätte sein Schicksal dann einen anderen Pfad eingeschlagen.

Schock, Trauer und tausende Gedanken überkommen uns. Einen Schuldigen im eigentlichen Sinne gibt es nicht. Er ist das Opfer einer Krankheit gewesen und uns wurde klar gemacht, dass alles eines Tages endet. Der Kreislauf des Lebens. Geburt, Leben, Tod.
Einige Leben enden früher, andere später.
Aber es ist nicht endgültig. Es ist ein Kreislauf. Jedes Ende ist ein neuer Anfang.

Wir werden um den Verlust Eduards trauern, wir alle.
Doch wir müssen daraus neue Kraft und neuen Mut schöpfen, um unser Leben so gut wir können zu führen, das hätte Eduard so für uns gewollt. Denn jedes Leben ist wertvoll, es ist das einzige Geschenk, das uns Menschen gegeben ist.
Erfüllen wir Eduards Wunsch nicht daran zu Grunde zu gehen und leben wir alle gemeinsam für ihn!

Ich werde dich vermissen Eduard,
liebster aller Freunde.
Ich werde dich niemals vergessen Eduard,
du wirst in meinem Herzen wohnen.
Ich hoffe es geht dir nun besser,
wo auch immer du nun sein magst.
Vielleicht werden wir uns eines Tages wiedersehen.
Und dann werden wir wieder gemeinsam sein,
werden gemeinsam weinen können,
und werden gemeinsam lachen.

Lebewohl, bester Freund und Bruder!
Lebewohl, Eduard!



by Lupus Terre 


Eduard

16.09.1993 - 16.05.2012
18 Jahre 8 Monate
6817 Tage 163608 Stunden
9816480 Minuten 588988800 Sekunden

Am 16.05.2012 ist mein bester Freund, der wie ein Bruder für mich gewesen ist, verstorben...

Der Schmerz lässt sich nicht in Worte fassen. Selbst für mich nicht, der doch auf diesem Blog stets Werke publiziert, welche sich auch mit Schmerz auseinandersetzen. Es liegt daran, dass nicht mal sämtliche Worte und Sprachen, die es auf dieser Welt je gegeben hat diesen Schmerz angemessen beschreiben könnten.

Meine nächsten 7 Einträge auf diesem Blog, werden sich konkret mit diesem schmerzhaftem Verlust Eduards befassen. 7 Einträge, 7 eine allseits bekannte Zahl mit bestimmten Bedeutungen. Der 7te Eintrag wird die 90. Veröffentlichung auf diesem Blog sein... leider kein Anlass zur Freude, da er von abgrundtiefer Trauer überschattet wird.

Sie werden voraussichtlich folgende Titel tragen:

1. Laudatio ad Eduard
2. Schock
3. Angst & Wut
4. Konfrontation
5. Verzweiflung (Nachtrag: Der Titel wurde durch den Titel "Trockenheit" ersetzt)
6. Akzeptanz
7. Warum, Eduard?

In welcher literarischen Form sie verfasst werden, steht jetzt noch nicht fest. Ausser bei 1...


Niemals werde ich dich vergessen, Bruder, und stets werd ich dich in Ehren halten!

Lupus Terre



Freitag, 11. Mai 2012

Zwielichtregen


„Es regnet“, sagte sie.
„Ich weiß“, sagte er.
„Warum öffnest du nicht deinen Regenschirm?“, fragte sie.
„Es regnet nicht stark genug.“, antwortete er.
Was ist starker Regen?, fragte sie sich in Gedanken. Denn es regnete stark genug, dass sie vollkommen durchnässt war.
Dicke lang gezogene Tropfen rasten hinunter auf den Boden, wo sie zerschellten. Der Himmel war Grau bewölkt, das Licht sehr gedämmt. Es war nicht Hell und nicht Dunkel. Weder Tag, noch Nacht. Ein Zwielicht war es, dass die Umgebung in ein halbdunkles halbhelles Licht tauchte. Grau war der Asphalt unter ihren Füßen. Grau die Straßen für Fußgänger. Grau die Fassaden der Gebäude. So grau und monoton wie die Wolken im Himmel, welche kalten nassen Regen weinten. Ein Kontrast waren die Bäume und Wiesen, die Blumen und Blüten, welche stellenweise aus dem Grau hervorstachen. Doch auch sie in ein Halbdunkel Halbhell getaucht. Auch sie eingegraut.
„Was ist starker Regen?“, fragte sie.
„Meine Kleidung ist durchnässt. Meine Haare sind durchnässt. Was ist für dich starker Regen? Warum öffnest du nicht deinen Schirm?“, sagte sie.
„Weil ich es nicht will.“, antwortete er.
„Weil der Regen das Einzige ist.“, sagte er.
„Das Einzige?“, fragte sie und er antwortete: „Das Einzige, das mich wäscht, mich von meiner Qual befreien vermag.“
„Wie?“, fragte sie und er antwortete: „Der kalte Regen kühlt mein Gemüt. Der kalte Regen löscht mein Feuer. Der kalte Regen reinigt mein Sein.“
„Aber ich will nicht nass sein. Gib mir deinen Schirm!“, sagte sie.
„Nein!“, brüllte er.
Verängstigt reagierte sie: „Wieso?“
„Du bist meine Qual.“, gab er kühl zurück und begann zu reden:
„Über diese Monotonie dieser jämmerlichen Existenz kannst nur du hinwegtäuschen. Du gibst mir ein Gefühl, gar wunderbar ist es, und es hebt mich hoch hinaus in die Lüfte, zur Sonne nahe, welche mich wärmt und mich belebt. Doch es ist nur eine List, nur eine schlechte Farce, ein impertinentes Spiel des wahren Lebens. Denn diese Illusion, in der du mich wiegst, dieses Gefühl, mit dem du mich zu betrügen wagst, reißt mir die Haut vom Leibe, damit die Säuren der Realität mich verätzen können. Nicht du sollst auch noch wagen mich anzugreifen. Denn wenn ich zu deinem ästhetischem Anblick aufsehe und mich von deiner Güte verführen lasse, schleichen sich Schatten in meinen Geiste. Ungetüme, die mir aufzeigen, dass in dieser verdorbenen Welt, in diesem morbiden Konstrukt menschlicher Naivität, menschlicher Abgründe, menschlicher Ungeheuerlichkeit, nichts einen Wert hat. Und damit hacken sie auf der Ader meines Herzens herum, nur um mich besser quälen zu können. Du gehörst zum Teil dieses Plans. Ich weiß, dass nichts auf dieser Welt eine Rettung zustande kommen lassen vermag. Ich weiß, dass nichts auf dieser Welt noch erstrebenswerten Lebensinhalt hat. Ich weiß, dass nicht du eine Änderung bezwecken wirst, sondern nur noch mehr Leid. Auch wenn ich im Nu dahinvegetiere, bis ich verderbe und verrotte, so will ich mich doch wenigstens dagegen wehren. Gegen dich.“
Er wandte sich ihr zu und erhob seinen Schirm. Dann schlug er zu. Er schlug zu. Er schlug erneut zu. Mit Wucht traf er sie am Kopf, am Hals. Sie fiel zu Boden und schrie auf. Ihre Stimme, welche rein und süß klang, wie lasterloses Harfenspiel, wurde gebrochen, klirrte in den Raum.
Er erhob sich über ihr und hielt seinen Schirm, mit der stählernen Spitze nach unten gerichtet über ihr und sagte: „Ich befreie mich!“
Sie wusste nicht, ob es Regen war, oder echte Tränen, die sie in seinem verbittertem Gesicht zu sehen glaubte. Doch sie wusste, was auch immer er tat, sie würde ihn immer lieben. So schloss sie ihre kristallklaren blauen Augen und ließ los.
Er stach mit Wucht in ihr Herz hinein und durchbohrte es.
Sie schrie nicht mehr. Sie schrie nie wieder.
„Dein Blut.“, sagte er und redete weiter: „Dein tiefes rotes Blut wird mein Heil sein. Auch wenn ich in dieser Sekunde dein warmes Gesicht noch verschlingen möchte, und mir dich schon jetzt sehnlich zurückwünsche, so darf ich mich nie mehr von deinem rotem Haar und deinen roten Lippen, die den Duft und die Farbe eines reifen, frischen, prall gewachsenen Apfels tragen, verführen lassen. Auch wenn dieser Glanz, das einzige sein mag, welches dieses Grau durchbricht, diese Düsternis lichten könne. Das Einzige, das so stark wie die Sonne erstrahlt.“
Es wurde Dunkel. Das Zwielicht ward zum Dunkel verkommen und er verschmolz mit dieser. Nur ihr Blut leuchtete noch auf. Aber er hatte sie vernichtet, er konnte nicht anders. Er war ihr Gegenwesen. Sein Schmerz wurde Dunkelheit. Dunkelheit war sein Schmerz. Er ist letztlich die Dunkelheit geworden, denn sein Licht verstarb.
Es hörte auf zu Regnen.


by Lupus Terre (DLNT)